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In Owen endet eine Ära

Energiekrise Das Elektrizitätswerk Ensinger zieht sich nach mehr als 120 Jahren als Grundversorger in Owen vom Strommarkt zurück. Das Netz bleibt in der Hand des Familienunternehmens. Von Bernd Köble

Sie haben zwei Weltkriege überdauert und zahllose Übernahmeversuche abgewehrt. Was die Klippen eines stürmischen Jahrhunderts erfolgreich umschifft hat, zerschellt 2022 an den Folgen der schwersten Energiekrise der Nachkriegszeit. Über Wochen war es nicht mehr als ein Gerücht, das in Owen kursierte. Jetzt ist es offiziell: Das E-Werk Ensinger wird sich zum 31. Dezember dieses Jahres nach mehr als 120 Jahren vom Markt verabschieden. Das Stromnetz in Owen dagegen bleibt weiterhin in der Hand des Familienunternehmens, das als kommunaler Versorger nebenan auch eine Getreidemühle betreibt.

Es ist ein geordneter Rückzug, darauf legen die Ensingers wert. Die aktuelle Entwicklung am Strommarkt könne man als Kleinanbieter nicht mehr mitgehen. In guten Zeiten deckte das Unternehmen bis zu zehn Prozent des Strombedarfs mit eigenen Turbinen über Wasserkraft der Lauter. Doch immer trocke­nere Sommer haben dazu geführt,
 

Wenn wir das Spiel weitertreiben, bleibt nur die Insolvenz.
Christof Ensinger
Der E-Werkbetreiber möchte sich
geordnet vom Markt zurückziehen.

dass dieser Anteil heute keine Rolle mehr spielt. Seit Längerem muss sich der Betrieb fast vollständig am Markt bedienen, auf dem seit Kriegsbeginn in der Ukraine ein erbarmungsloser Preiskampf tobt. „Was die Politik plant, wissen wir nicht. Wir haben jedenfalls nichts in der Hand“, sagt Ensinger und stellt fest: „Wenn wir das Spiel weitertreiben, dann bleibt am Ende nur die Insolvenz.“

Um die zu vermeiden, ziehen er und seine Schwester Ursula Flad, die den Vertrieb organisiert, nun die Reißleine. Wie schwer diese Entscheidung fiel, klingt immer wieder durch. Dass nun viel geredet wird im Ort, von dem das Allermeiste falsch sei, belaste, wie beide betonen. „Eigentlich hätten wir ein Callcenter beauftragen müssen“, meint Ursula Flad zu dem, was in den vergangenen Wochen am Telefon über sie hereinbrach. Dabei war Öffentlichkeit nie ihr Ding. Es wurde geschaut, dass der Laden läuft, und wenig geredet. Kompetent und kundennah ist nicht nur ein billiger Slogan. Hat jemand Probleme, wird das auf dem kleinen Dienstweg geregelt. Rund um die Uhr, auch am Wochenende. Schließlich kennt man sich im Flecken und ein Fahrzeug mit dem roten Blitz ist in Owen selten weit. Selbst als die Ensingers vor Jahren als eine der Ersten ihre Abnehmer mit reinem Ökostrom belieferten, hat man sich geweigert, es an die große Glocke zu hängen. 

Im Juli kam die Wende. Da flatterte den Haushalten in Owen ein Schreiben ins Haus, das viele schockierte. Der Stromtarif zum 1. Oktober hatte sich annähernd verdoppelt. Was viele noch nicht wussten: Der Hinweis auf das Recht, den Anbieter zu wechseln, war diesmal mehr als eine vorgeschriebene Floskel und würde am Ende alternativlos sein. Den Anbieter wechseln müssen nun mehr als 1800 Kunden, vom Singlehaushalt bis zum Industriebetrieb. Das sind rund 97 Prozent der Anschlüsse im 3500-Einwohner-Städtchen, das als gallisches Dorf im Land der Großkonzerne firmiert. Am Freitag soll das Unvermeidliche im Gemeinde-Mitteilungsblatt verkündet werden. Dass nun alles ganz schnell gehen muss, hat einen Grund. Wirtschaftsministerium und Bundesnetzagentur setzen für den Rückzug am Jahresende eine dreimonatige Frist. Schließlich sind die Ensingers in Owen Grundversorger.

Wie es weitergeht? Ensinger bleibt weiterhin Netzbetreiber und damit auch für die Tarifzähler in den Haushalten zuständig. Wer Strom über eine Photovoltaikanlage ins Netz einspeist, bekommt weiterhin Geld vom Owener Dienstleister. Der leitet den Strom zum selben Preis weiter an den vorgelagerten Netzbetreiber, der dafür ein Netzentgelt zu entrichten hat. In diesem Fall ist das die Transnet BW, eine Tochter des Energiekonzerns EnBW.

Etwa zehn Prozent der Haushalte in Owen haben den Anbieter bereits gewechselt. Wer untätig bleibt, muss nicht fürchten, ab 1. Januar ohne Strom dazustehen. Bis dahin muss feststehen, wer in Owen als Grundversorger nachfolgt. Was sich für Kunden dann ändert, ist allein der Schriftkopf auf der Rechnung – und natürlich der Preis. Welcher Weg der güns­tigste ist, wollen fast alle der zahllosen Anrufer im Owener E-Werk wissen. „Wir können und dürfen keine Ratschläge geben“, wehrt Ursula Flad ab. Dazu ist der Markt auch viel zu aufgewühlt. Allen, die nun die Panik erfasst, etwas zu verpassen, bleibt ein nur schwacher Trost: Die Zeit für Schnäppchen am Energiemarkt ist ohnehin längst vorbei.
 

Alles begann am 21. November 1901

An einem Donnerstag erblickte Owen das Licht einer neuen Welt. Im Rathaus flackerte an diesem 21. November 1901 zum ersten Mal eine Glühbirne, gespeist von elektrischer Energie. Für deren Fluss stand damals wie heute der Name Ensinger.
Christof Ensinger legte in der Steinschen Teckmühle, die die Familie seit 1883 betrieb, den Grundstein für die flächendeckende Versorgung der Stadt mit selbst erzeugtem Strom. Die Wasserkraft der Lauter erhellte mittels Turbine zunächst das Rathaus, im folgenden Jahr waren bereits 42 Gebäude Owens ans neue Ortsnetz angeschlossen. Im Herbst 2022 betreiben die Ensingers das E-Werk als Familienbetrieb in vierter Generation. Am 31. Dezember endet dieses Kapitel. bk