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Künstliche Haut wird künftig in Kirchheim hergestellt

Medizintechnik Das international renommierte Unternehmen Polymedics Innovations baut im Kirchheimer Gewerbegebiet Hegelesberg. Im Januar soll der Neubau für Verwaltung, Forschung und Produktion fertig sein. Von Bianca Lütz-Holoch

Auf den ersten Blick ähnelt das rechteckige, weiße Blättchen einem Stück Butterbrotpapier. So unscheinbar es aber auch aussieht – das „Papier“ ist ein Hightech-Medizinprodukt und hat die Versorgung von großflächigen Verbrennungen und anderen schweren Hautwunden revolutioniert: Es handelt sich um künstliche Haut. Hergestellt wird sie ab dem kommenden Jahr in Kirchheim. Das international renommierte Medizintechnik-Unternehmen Polymedics Innovations (PMI), das den Hautersatz auf den Markt gebracht hat, baut derzeit einen neuen Hauptsitz mit Verwaltung, Forschung, Produktion und Vertrieb im Kirchheimer Gewerbegebiet Hegelesberg. Der Umzug ist für Januar geplant.

 

Wir messen unseren Erfolg daran, wie vielen Menschen wir helfen können.
Christian Planck
Der PMI-Geschäftsführer über die Unternehmensziele

 

„Wir sind in einer starken Wachstumsphase“, sagt Christian Planck, der das Unternehmen gemeinsam mit seinem Vater Professor Dr. Heinrich Planck führt. Rund 40 Prozent Wachstum pro Jahr hat PMI zuletzt verzeichnet. „Unser Ziel ist es, in den nächsten 13 Jahren unseren Umsatz zu verzehnfachen – und damit auch die Zahl der behandelten Patienten.“ Genau darauf kommt es den beiden Geschäftsführern des Familienunternehmens in erster Linie an. „Wir messen unseren Erfolg daran, wie vielen Menschen wir mit unseren Produkten helfen können, nicht an Quartalszahlen“, betont Christian Planck. „Entsprechend investieren wir den größten Teil des Gewinns auch in Forschung, Entwicklung und Ausbau.“ 

Um der ständig steigenden Nachfrage nach der künstlichen Haut gerecht werden und dem globalen Druck standhalten zu können, vergrößert sich PMI nun auch räumlich weiter. Bislang forscht, entwickelt und produziert das Unternehmen in Denkendorf auf rund 700 Quadratmeter Fläche, verteilt über drei Stockwerke. „In Kirchheim werden wir 3000 Quadratmeter Fläche haben“, kündigt Christian Planck  an. Nicht nur der Reinraum, in dem der Hautersatz unter besonders hygienischen Bedingungen produziert wird, ist technisch auf dem neuesten Stand. Das Gebäude erfüllt neben räumlichen auch hohe Energiestandards. „Dank Geothermie, Wärmerückgewinnung und umweltfreundlicher Kältetechnik sparen wir pro Jahr 70 Tonnen CO2 ein“, sagt Heinrich Planck. Auch eine Erweiterung des Gebäudes ist in der Zukunft möglich. „Wir können noch ein Stockwerk draufsetzen und vorne anbauen.“

Neue Mitarbeiter sind gefragt

Zunächst ziehen 32 Mitarbeiter in das langgestreckte Gebäude mit dem kleinen „Turm“ am Fuß des Hegelsbergs ein. „Wir suchen aber dringend weitere Mitarbeiter“, sagt Christian Planck. Vor allem im Bereich Verwaltung, Vertrieb und Marketing braucht PMI Verstärkung. Sämtliche Unternehmensbereiche deckt die Firma mit eigenen Mitarbeitern ab.

Christian Planck und Professor Heinrich Planck vor dem Neubau am Kirchheimer Hegelesberg.  Foto: Tobias Tropper

Das Produkt, um das sich bei PMI alles dreht, heißt „Suprathel“. 2004 hat PMI den Hautersatz auf der Markt gebracht. Er gilt inzwischen als das Mittel der Wahl bei der Behandlung von schweren Hautwunden wie Verbrennungen, Schürfwunden oder Blasenbildung nach allergischen Reaktionen. „Hautwunden sind ein Riesenproblem“, sagt Prof. Dr. Heinrich Planck. Normalerweise heilen sie von alleine. „Wenn sie groß sind, ist das aber nicht der Fall.“ Dann leiden die Patienten nicht nur unter massiven Schmerzen. Es besteht auch die Gefahr von Entwässerung und Infektionen.

Patienten haben kaum noch Schmerzen

Genau da setzt der Hautersatz an: „Ich wollte eine Membran entwickeln, die von der Elastizität und der Wasserdampfdurchlässigkeit die Eigenschaften von Haut hat, die Wunde schützt und nur einmal aufgetragen werden muss“, erzählt Heinrich Planck. Das ist gelungen. Die künstliche Haut, die so aussieht wie Papier, besteht aus synthetisch hergestellter Polymilchsäure, die der Körper abbauen kann. „Ab dem Moment, in dem sie aufgetragen wird, haben die Patienten kaum noch Schmerzen.“

Weil das Material bis zur vollständigen Heilung auf der Wunde bleibt, entfallen schmerzhafte Verbandswechsel, die sonst teilweise sogar unter Narkose stattfinden müssen. Gleichzeitig verhindert die künstliche Haut, dass Keime eindringen, und sie beschleunigt die Genesung. „Typischerweise ist die Wundheilung mit dem Hautersatz nach zwei Wochen abgeschlossen“, weiß Christian Planck. Ein weiterer Pluspunkt: „Es entstehen viel weniger Narben“, so Professor Heinrich Planck.

Marienhospital als medizinischer Partner

Medizinischer Partner von PMI ist das Marienhospital in Stuttgart. „Wir arbeiten sehr eng mit dem Zentrum für Schwerbrandverletzte zusammen“, sagt Heinrich Planck. Neben den Ur-Produkt Suprathel stellt PMI seit einigen Jahren auch noch einen Hautersatz für tiefe und chronische Wunden her, unter denen etwa Diabetiker oft jahrelang leiden. „Da beobachten wir beeindruckende Erfolge“, sagt Christan Planck – zumindest im medizinischen Bereich. Was die Kostenübernahme durch die Krankenkassen angeht, hapere es noch. Das gelte auch für klinische Studien und Zulassungsprozesse. „In den USA geht das alles viel einfacher“, sagt Heinrich Planck. Nicht umsonst hat PMI dort eine Tochtergesellschaft gegründet.

Kirchheim als neue Heimat für ihre High-Tech-Manufaktur – aus Sicht der Geschäftsführer ist das das ideal. Zum einen wohnt Christian Planck selbst in der Teckstadt. Zum anderen ist der Weg für die Mitarbeiter kurz, die Verkehrsanbindung günstig. Nicht zuletzt habe das Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren seit Beginn der Planungen für den Neubau viel Unterstützung in Kirchheim erfahren – von der Verwaltungsspitze ebenso wie vom Gemeinderat.

 

Unternehmen hat seine Wurzeln am Forschungsinstitut

Polymedics Innovations ist ein führendes Medizintechnikunternehmen im Bereich der Wundversorgung und hat weltweit gut 40 Mitarbeiter. Bislang sind rund 100 000 Patienten in über 40 Ländern mit den Medizinprodukten von PMI behandelt worden. Geschäftsführer des Unternehmens sind Professor Dr. Heinrich Planck und – seit 2020 – sein Sohn Christian Planck.

Professor Dr. Heinrich Planck gilt als einer der renommiertesten internationalen Pioniere der biomedizinischen Verfahrenstechnik. Er ist Preisträger nationaler und internationaler Auszeichnungen. Der Heilung von Hautwunden hat er sich seit der 1980er Jahren verschrieben.

1996 brachte Professor Heinrich Planck als Leiter des Instituts für Textil- und Verfahrenstechnik Denkendorf im Rahmen des Deutschen Kompetenzzentrums für Biomaterialien und Organersatz das Projekt „Entwicklung einer Hautabdeckung für Schwerverbrannte“ ins Rollen. Medizinischer Partner war das Marienhospital Stuttgart. Entwickelt wurde ein innovativer künstlicher Hautersatz: Suprathel.

An der Vermarktung des Hautersatzes zeigten die Industriepartner jedoch kein Interesse. 2001 gründete Heinrich Planck deshalb mit vier weiteren beteiligten Wissenschaftlern ein eigenes Unternehmen, die Polymedics Innovations GmbH (PMI). Ziel war es von Anfang an, Innovation in der Wundheilung möglichst vielen Patienten zugänglich zu machen. Seit 2015 gibt es in den USA eine Tochtergesellschaft von PMI mit aktuell elf Mitarbeitern.

Suprathel wurde 2004 in Deutschland und Österreich eingeführt. Es folgte die Zulassung des Produkts in zahlreichen weiteren Ländern innerhalb und außerhalb Europas. In Deutschland hat die künstliche Haut von PMI bei der Behandlung von Patienten mit Verbrennungen zweiten Grades mittlerweile einen Marktanteil von 70 Prozent.