Kirchheim
20 Jahre Krieg – und jetzt?

Terror Von Taliban-Offiziellen bis hin zur leidenden Bevölkerung: Emran Feroz hat mit den Menschen vor Ort gesprochen. In seinem neuen Buch beschreibt er die Situation Afghanistans aus einer anderen Perspektive. Von Silja Kopp

Vor einem Monat war der 20. Jahrestag des Terroranschlags 9/11. „Die Bilder der brennenden und später zerstörten World Trade Center haben wir sicher alle noch vor Augen“, sagt Hans Dörr von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Esslingen-Nürtingen. Mit dieser Anmerkung über die Anfänge des Afghanistan-Kriegs leitet er die Lesung von Emran Feroz ein. Die Veranstaltung im Kirchheimer Gemeindehaus wurde von der Partnerschaft für Demokratie Kirchheim finanziert. Sie ist Teil des Bundesprogramms „Demokratie leben“. 

Der in Österreich lebende Emran Feroz hat noch Familie in Afghanistan, ist seit mehreren Jahren als Journalist für deutsch- und englischsprachige Medien tätig und berichtet regelmäßig aus dem Land am Hindukusch. Zu seinen Schwerpunkten gehört die politische Lage in Nahost und Zentralasien sowie der amerikanische „War on Terror“ – Krieg gegen den Terrorismus.

Sein neues Buch „Der längste Krieg“ handelt von dem fast 20-jährigen Kampf gegen den Terror in Afghanistan. Der Autor beschäftigt sich außerdem mit der Frage, warum die Intervention schlussendlich scheiterte. Am Ende der Lesung spricht er über seine Vermutungen, wie die Zukunft des Landes aussehen wird.

Viele Menschen im Ausland glauben, dass die Mehrheit  der afghanischen Bevölkerung die Intervention der USA begrüßte. Emran Feroz kann diese Meinung so nicht unterschreiben. „Natürlich haben manche Männer sich begeistert die Bärte abrasiert und manche Frauen haben aufgehört, sich zu verschleiern, als die Taliban weg waren. Es gibt aber letztendlich keine Studien dazu, dass die meisten Afghanen sich über die Intervention gefreut haben“, erklärt er. Er hat sich mit vielen Menschen ausgetauscht und die Gespräche in seinem Buch festgehalten. Die Drohnenangriffe der USA, um den Terror zu bekämpfen, kritisiert er stark. Diese sind seiner Ansicht nach kaum kontrolliert gewesen und haben ihr Ziel oft verfehlt. Tausende Zivilisten  kamen dabei ums Leben. Emran Feroz hat mit Menschen gesprochen, die an den Drohnenangriffen beteiligt waren und aus Gewissensgründen ausgestiegen sind. Zudem hat er auch mit Opfern der Angriffe gesprochen: „Viele Menschen, die Angehörige verloren oder selbst schwere Verletzungen erlitten haben, haben bis heute keine Entschädigung von den USA bekommen“, sagt Emran Feroz. Bei seiner Recherche sprach er mit einem Mädchen, das durch einen Drohnenangriff ihre Familie und ihr Gesicht verloren hat. In den USA hätten die Schuldigen dieses Ereignis zum Teil sogar abgestritten. Oftmals wäre gar nicht geklärt worden, wer den Angriffen zum Opfer fiel. Deshalb kann Emran Feroz auch nicht nachvollziehen, warum der Krieg legalisiert wurde. „Die westlichen Armeen wollten angeblich unsere Frauen und Kinder befreien, doch am Ende waren sie es, die unsere Familien attackierten“, sagte ein Afghane einmal zu ihm.

Emran Feroz fragt sich auch, wohin die Milliarden an Geldern für die Entwicklungshilfe hingegangen sind: „Das Einzige, was ich bei den Bewohnern und Bewohnerinnen finden konnte, war eine Wasserpumpe“, meint er. In Städten wäre zum Teil viel Geld für neue Gebäude ausgegeben worden, doch entscheidende Dinge hätten gefehlt: „Viele Menschen sind seit dem Krieg körperlich behindert, ich habe in Kabul keinen einzigen Lift gesehen“, erzählt Emran Feroz. 

„Kann man sagen, dass die Zeit jetzt nach der Machtübernahme der Taliban wieder um 20 Jahre zurückgedreht wurde?“, möchte ein Zuhörer wissen. Emran Feroz hat darauf eine klare Antwort: „Die Bewohner in Afghanistan sind nicht mehr die gleichen wie vor 20 Jahren. Die Frauen haben zum Beispiel angefangen auf Demonstrationen zu gehen. Darauf müssen sich die Taliban gefasst machen – ideologisch haben die sich allerdings nicht verändert“, meint er. 

Seine Tante kann als Lehrerin in Afghanistan weiterhin unterrichten, allerdings muss sie sich dabei verschleiern. „An den meisten staatlichen Universitäten wird den Frauen die Teilnahme verweigert. Bei den privaten Unis sieht das noch anders aus“, sagt er.

Der Journalist sieht eine düstere Zukunft für Afghanistan, wenn ausschließlich die Taliban regieren werden. Im Regime der Taliban gebe es keine einzige Frau. Wirtschaftlich sei das Land zudem völlig am Boden und abhängig von anderen Staaten.

 

Der Kampf
gegen die Taliban

Auslöser für den Krieg in Afghanistan waren die Terroranschläge am 11. September 2001 auf das World Trade Center. Mehr als 3000 Menschen kamen dabei ums Leben. Die islamistische Taliban-Regierung unterstützte die Terrorgruppe Al-Quaida, indem sie den Terroristen in Afghanistan Verstecke anbot. Ein Militärbündnis unter Führung der USA marschierte daraufhin in das Land ein. Es folgte ein fast 20-jähriger Krieg, bei dem die USA und ihre Verbündeten gegen die Terrororganisationen in Afghanistan kämpften und zudem innerhalb des Landes Entwicklungshilfe leisteten. Auch Deutschland war daran beteiligt. Der Einsatz, die Taliban dauerhaft zu stürzen, ging schief. 2021 kamen die Taliban wieder an die Macht.  sk