Kirchheim
Ärztemangel: Lange Suche nach dem Hausarzt

Medizin In Kirchheim und Umgebung einen neuen Hausarzt zu finden, ist nicht leicht. Das Gebiet rund um die Teck ist mit Medizinern unterversorgt. Ausreichend Nachwuchs ist nicht in Sicht. Von Antje Dörr

Er ist nicht der Typ, der ständig zum Arzt rennt. 42 Jahre alt ist er, beschreibt sich als „topfit“. Als Niko Aslanidis nach Jahren bei seinem Hausarzt anruft, um einen Termin für ein Checkup mit Blutbild zu vereinbaren, muss er feststellen: Der Arzt praktiziert nicht mehr. Er telefoniert herum, schreibt E-Mails, um einen neuen Arzt oder eine neue Ärztin zu finden. Ohne Erfolg. „Seit Monaten kassiere ich bei Allgemeinmedizinern nur Absagen“, sagt er frustriert. „Niemand ist bereit, diese einfache Leistung zu erbringen, weil ich nicht zum Patientenstamm gehöre“. 

 

Seit Monaten kassiere ich bei Allgemeinmedizinern nur Absagen.
Niko Aslanidis
Patient
 

Diese Geschichte überrascht Dr. Wolf-Peter Miehe überhaupt nicht. Der Hausarzt aus Weilheim, der als Vorsitzender der Ärzteschaft Nürtingen eine Art Sprecher seiner Kolleginnen und Kollegen ist, weiß, warum Menschen wie Niko Aslanidis keinen Hausarzt finden. „2018 und 2019 haben vier Praxen mit fünf Ärzten ersatzlos geschlossen“, sagt Miehe. Das Gebiet zwischen Kirchheim und Neidlingen sei mit Ärzten unterversorgt. Viele seiner Kollegen hätten das Rentenalter längst erreicht, arbeiteten aber weiter, weil sie keinen Nachfolger fänden und sich den Patientinnen und Patienten verpflichtet fühlten. „Rund um Nürtingen bekommen Sie sogar finanzielle Förderung, wenn Sie sich niederlassen“, beschreibt Miehe die noch dramatischere Situation rund um die Nachbar-Kreisstadt. 

Doch zurück nach Kirchheim: Nach der Schließung der Praxen seien die Patientinnen und Patienten verteilt worden. „Wir haben mittlerweile richtig viele Menschen aus Kirchheim“, sagt Miehe. Doch die Aufnahme neuer Patienten habe Grenzen. „Wir nehmen neu Zugezogene, vielleicht noch Familienangehörige“. Aber viele Kolleginnen und Kollegen könnten schlicht und einfach nicht mehr. „Ich sage Mittwochabends immer, ‘Bis Montag, meine 40 Stunden sind voll’“, sagt Miehe und kann über seinen eigenen Scherz nicht wirklich lachen. Medizin werde immer komplexer. „Je mehr wir dazulernen, desto intensiver und aufwändiger wird es, die Patienten zu versorgen.“ Das Telefon klingele ununterbrochen. Der Ton, vor allem gegenüber den Medizinischen Fachangestellten, sei rauer geworden.

Womit schon einige der Gründe genannt ist, wieso aus Miehes Sicht viele jungen Ärztinnen und Ärzte den Schritt in die Selbstständigkeit scheuen. Auch die Tatsache, dass Haus- und Kinderärzte sowie Psychotherapeuten das Schlusslicht der Honorar-Tabelle bildeten, trage nicht zur Attraktivität des Berufs bei. Dazu kommt: „Drei Viertel der Medizinabsolventen sind weiblich“. Familie und Vollzeit-Arbeit in der Praxis seien jedoch schwer zu vereinbaren. „Deshalb sind die Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) echte Alternativen“, findet Miehe. „Viele Kolleginnen und Kollegen wollen nur Teilzeit arbeiten, und die Strukturen müssen sich anpassen.“ Nicht nur wegen der flexibleren Arbeitszeiten hält Miehe die MVZ für ein Zukunftsmodell. „Viele junge Kollegen wollten wegen des administrativen Aufwands, wegen der wirtschaftlichen Verantwortung und der ständigen Veränderungen den Schritt in die Selbstständigkeit nicht mehr gehen“, weiß er. Aktuell müssten er und seine Kollegen sich mit der elektronischen Krankmeldung herumschlagen. „Damit haben wir alle keinen Spaß, weil es nicht funktioniert“. Auch für Kirchheim könnte Miehe sich ein MVZ vorstellen. Handlungsbedarf gebe es dringend. „In Kirchheim wird aktuell ein neues Stadtviertel für 2500 Menschen gebaut. Viele Zugezogene werden Mühe haben, einen Hausarzt zu finden“, prognostiziert er.

Niko Aslanidis’ Suche ist mittlerweile zu Ende. „Ein Arzt hat sich bereit erklärt, mich anzunehmen“, sagt er. Doch für viele andere Patienten dürfte die Suche weitergehen.

Kinderarztpraxen ohne Nachwuchs

Auch die Kinderarztpraxis im MVZ in Kirchheim kämpft aktuell mit Nachwuchsproblemen. Nachdem eine der Kinderärztinnen zum 6. Oktober nach Nürtingen gewechselt ist, ist die Praxis mit einer verbleibenden Ärztin dramatisch unterbesetzt. Bisher gibt es keine Nachfolgerin. Auch in der einzigen pädiatrischen Praxis in Weilheim hat die Inhaberin das Rentenalter längst überschritten, praktiziert aber immer noch, weil es keinen Nachfolger gibt.adö