Kirchheim

Als die Briefkultur noch blühte

Geschichte Stefan Knödler und Andreas Vogt bringen den Briefwechsel zwischen Mörike und Kurz ans Licht.

Kirchheim. Das muss doch jeden Literaturfreund interessieren: Zwei Schriftsteller, deren Andenken im Literaturmuseum Kirchheim besonders gepflegt wird, haben einen intensiven Briefwechsel gepflegt - Eduard Mörike und Hermann Kurz. Auf Einladung des Literaturbeirats haben der Literaturwissenschaftler Stefan Knödler aus Tübingen und der Mitarbeiter des Kulturamts Reutlingen, Andreas Vogt, diesen Briefwechsel unter dem Titel „Weltfremde Menschen“ vorgestellt. Die Veranstaltung stieg bei klirrender Kälte - und siehe da, das Interesse war stärker als die Kälte. Der Schulraum des Max-Eyth-Hauses war gut gefüllt.

Knödler unterstrich zuerst die besondere Beziehung der beiden Schriftsteller zu Kirchheim. Mörike hatte in der Kirchheimer Gegend von 1829 bis 1834 verschiedene Vikariatsstellen. Von Januar 1832 bis Oktober 1833 war er Pfarrverweser in Ochsenwang. In diesem Zeitraum entstehen sein Roman „Maler Nolten“, viele Gedichte und der Liebesbriefwechsel mit Luise Rau. Der gebürtige Reutlinger Hermann Kurz lebte in Kirchheim vom Sommer 1862 bis Ende 1863, also 30 Jahre nach Mörike, in einer Wohnung in der Dettinger Straße.

Kurz kennt die Landschaft um Kirchheim von Wanderungen in seiner Jugend und beschreibt sie in seinen Erzählungen „Abenteuer in der Heimat“ und vor allem im „Bergmärchen“. Kirchheim selbst ist für Kurz „gerade so gut wie ein anderes Nest“. Doch es geht ihm, verglichen mit früheren Zeiten, finanziell gut. Die Familie genießt die Landschaft, wie Tochter Isolde berichtet. Die beiden Poeten lebten also zeitweise in Kirchheim. Der Briefwechsel fällt aber nicht in diese Zeiten.

„Weltfremde Menschen“, so urteilte Theodor Storm nach der Lektüre der Briefe. Knödler teilte seine Analyse des Briefwechsels in vier Kapitel ein. Am Anfang steht das „Kennenlernen“. Am 20. Mai 1837 schreibt Kurz einen ersten Brief an Mörike. Kurz erinnert ihn zuerst daran, dass er ihn einmal in Ochsenwang aufgesucht habe, aber wegen des verehrten Meisters „verdrüsslichen Falten über die ungebetenen Gäste“ nicht angesprochen habe.

Er bittet um Verständnis, dass er Mörikes Opernlibretto „Regenbrüder“ ergänzt hat und legt eigene Gedichte und die Novellensammlung „Grenzianen“ bei. Mörike antwortet prompt. Er reiht Kurz ein in die von der Muse geküssten Dichter. Auf dieser Basis treffen sie die Verabredung, sich alles offen zu sagen. Eine harmonische persönliche Begegnung findet 1838 in Cleversulzbach statt.

Das zweite Kapitel befasst sich mit dem „asymmetrischen Verhältnis“ der beiden Briefpartner. Kurz ist derjenige, der zu Mörike hinaufschaut. Mörike lobt zwar, doch lapidar und von oben herab. Diese schiefe Ebene kommt auch in der Zahl der Briefe zum Ausdruck: 34 stammen von Kurz, 19 von Mörike.

Im dritten Kapitel „Mörikes poetische Welt“ stellt Knödler fest, dass die beiden so gut wie nie über weltliche Dinge zu sprechen kommen. Kurz und Mörike tauschen sich über Werke von Zeitgenossen und eigenen Produktionen aus. Dabei wird Kurz in die poetische Welt Mörikes eingesponnen, wird sogar ein Teil von Orplids Fantasiewelt.

Doch die gemeinsame Plattform, der Austausch auf der Ebene der Poesie, bekommt Risse und bricht schließlich auseinander, wie Knödler im letzten Kapitel „Euphorie, Unfrieden und Bruch“ ausführte. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Kurz scheint als Privatmann ein unkonventioneller, leicht aufbrausender Typ gewesen zu sein. Vor allem sind es aber wohl politische Gründe. Kurz ist seit 1848 Herausgeber des demokratischen „Beobachter“ und zitiert, gemünzt auf Mörike, aus einem Gedicht des Freiheitsdichters Körner: „Pfui über dich Buben hinter dem Ofen“.

Doch nach 30 Jahren des Schweigens gibt es fünf Monate vor Hermann Kurz Tod zwischen beiden ein versöhnliches Ende. Kurz schätzt Mörike immer noch als Poet und hat dies anlässlich der Novelle „Mozart auf der Reise nach Prag“ öffentlich zum Ausdruck gebracht. Mörike reagiert versöhnlich und herzlich. Nach dem Tod von Hermann Kurz übergibt er der Witwe die Briefe.

Der Briefwechsel ist laut Knödler trotz der „Weltferne“ ein literarischer Schatz. Er gibt Einblick in die Psyche und die Werkstatt zweier Dichter der Region. Nach dem Vortrag versammelte sich eine erstaunlich große Zahl an Zuhörern um den Referenten, mit dem Wunsch, Vortrag und Briefe nachlesen zu können. Der Vortrag wartet noch auf seine Veröffentlichung, und die Briefe sind nur antiquarisch in einer Ausgabe von 1919 zu bekommen.Ulrich Staehle