Kirchheim

Altern ist vor allem Kopfsache

Literatur Der Forscher Hans-Werner Wahl präsentiert in Kirchheim seine „Neue Psychologie des Alterns“. Ein Plädoyer gegen die gängigen Klischees. Von Günter Kahlert

Überraschendes zum Thema Altern: Hans-Werner Wahl war zu Gast in der Kirchheimer Buchhandlung Zimmermann. Foto: Günter Kahlert
Überraschendes zum Thema Altern: Hans-Werner Wahl war zu Gast in der Kirchheimer Buchhandlung Zimmermann. Foto: Günter Kahlert

Die Frage klingt eigentlich ganz einfach. Wann ist man „alt“? Mit 65, mit 70, mit 75 oder mit 85? Hans-Werner Wahl, einer der führenden Alternsforscher Deutschlands, kann und will darauf keine eindeutige Antwort geben. „Es ist schlichtweg unmöglich, das Altsein an einer Zahl festzumachen“, sagt er. Entscheidend sei der Prozess des Alterns und nicht ein bestimmtes Alter. Bei der Vorstellung seiner aktuellen Veröffentlichung „Neue Psychologie des Alterns“ in der Kirchheimer Buchhandlung Zimmermann wird das deutlich. Die weltweiten Forschungen und Langzeit-Studien der vergangenen Jahrzehnte haben längst ein sehr viel differenzierteres Bild, einen neuen Blick auf das Altern ergeben - fernab der gängigen Klischees, der Forscher spricht von „Altersstereotypen“. Die allerdings sind hartnäckig.

„Wir sehen zwar, die älteren Menschen sind aktiv, sie machen alle möglichen neuen Lebensprojekte auf, aber unsere Sichtweise ist immer noch sehr negativ“, erzählt Hans-Werner Wahl. Dabei gab es seinen Erkenntnissen nach „historisch gesehen noch nie eine Generation älterer Menschen, die so leistungsfähig ist.“ Auch der Heidelberger Forscher, selbst Jahrgang 1954, hatte bereits seinen „Senioren-Moment“, wie er schmunzelnd erzählt. Beim Ausstieg aus der Straßenbahn meinten die Jugendlichen auf dem Bahnsteig: „Lasst doch erst mal den Alten raus.“

Tatsache ist: Die Lebenserwartung steigt beständig, die meisten Älteren fühlen sich jünger, als sie es ihrem „kalendarischen“ Alter nach sind. Wer sich jünger fühlt im Kopf, der hat gute Chancen tatsächlich „jünger“ zu sein, mit vielen altersbedingten Beeinträchtigungen und Krankheiten erst viel später rechnen zu müssen. Die Forscher sprechen sogar davon, dass ein heute 65-Jähriger in seinen gesamten körperlichen und geistigen Fähigkeiten einem 55-Jährigen der 70er-Jahre entspricht.

Gibt es also nur noch „fidele“ Alte, wie es die Werbung gerne sieht? Der Alternsforscher widerspricht energisch: „Diese mediale Inszenierung lehne ich ab, das ist ein Zerrbild.“ Es gebe natürlich auch die Pflegebedürftigkeit, die Demenz. Allerdings in weit geringerem Umfang, als es in der Öffentlichkeit den Anschein hat. Der überwiegende Teil der Älteren -Wahl spricht von 80-85 Prozent -kommt den Untersuchungen nach gut klar mit großen und kleinen Einschränkungen, die das Altern mit sich bringt. „Ältere Menschen sind Meister in der Bewältigung ihrer Anforderungen“, schildert der Forscher seine Erkenntnisse. Er bezeichnet es als „Werkzeugkasten“, den ältere Menschen zur Verfügung haben, und in den sie aufgrund ihrer Lebenserfahrung hineingreifen können. Dazu zählt auch, Dinge zu akzeptieren, die man ohnehin nicht verändern kann oder sich nur Ziele zu setzen, die erreichbar sind.

Ältere können demnach auch sehr bewusst Aktivitäten und Menschen, die ihnen gut tun, auswählen und alles andere links liegen lassen. „Da sind viele wahre Lebenskünstler in der Erhaltung ihrer Lebenszufriedenheit und ihres Wohlbefindens“, resümiert Hans-Werner Wahl.

Egoisten allerdings, die sich nur noch um sich und ihr Wohlergehen kümmern, sind die Älteren keinesfalls. Auch das haben die Studien ergeben. Sie bringen sich häufig ein in ehrenamtliche Tätigkeiten, investieren viel in soziale Welten wie Familie oder Freunde und betreuen häufig Pflegebedürftige zu Hause. „Sie nehmen ihre Verantwortung in der Gesellschaft wahr“, stellt Hans-Werner Wahl klar. 80 Prozent der Pflege geschieht seinen Worten nach immer noch im häuslichen Bereich. Ohne den Einsatz vieler Älterer wäre Pflege in Deutschland so nicht machbar. Es ist ein wirklich differenziertes Bild vom Altern, das der Psychologe in seinem Buch darlegt. Logisch, dass er in den zwei Stunden in der Buchhandlung Zimmermann viele Aspekte streifen muss.

Ob man den Blick aufs Altern in der Gesellschaft schnell ändern kann? Da ist Hans-Werner Wahl skeptisch. „Das wird dauern, auch wenn längst alles gegen die Klischees spricht“, meint er dazu. Eines gibt er seinen Zuhörern jedenfalls mit auf den Weg: „Die ganzen neuen Erkenntnisse dürfen nicht in einen „Erfolgreich-Altern-Terror“ ausarten. Auch wenn ich mich jünger fühle, muss ich nicht ständig weiter Höchstleistungen bringen, ich darf auch mal loslassen und kürzer treten.“

„Der Wandel wird kommen“

Professor Dr. Hans-Werner Wahl leitet die Abteilung für Psychologische Alternsforschung am Psychologischen Institut der Uni Heidelberg. Neben zahllosen wissenschaftlichen Arbeiten hat er jetzt erstmals ein Buch für die breitere Öffentlichkeit geschrieben.

Welchen Einfluss haben Alters-Klischees auf die Menschen?

Hans-Werner Wahl: Das ist eine Sache, die man sehr lange unterschätzt hat. In Langzeitstudien hat man festgestellt, dass Menschen, die schon mit 60 Jahren dem Älterwerden eher negativ entgegensehen und sagen, das sei alles ganz schlimm, auch nach 20 Jahren schlechter dastehen. Sie haben mehr Krankheiten, sie sind kognitiv - also in der geistigen Leistung - nicht mehr so gut drauf. Das liegt wahrscheinlich daran, dass man nicht so viel investiert, wenn man diese Haltung hat. Ältere Menschen, die positive Altersbilder von ihrem Älterwerden haben, leben auch länger.

Ist Altern vor allem Kopfsache?

Wahl: Ja absolut. Natürlich ist Altern sehr stark von der Biologie abhängig. Unsere Zellen, unser Gehirn, die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung: Das wird alles schlechter. Aber: Wir sind Menschen. Wir können unsere Veränderungen mit dem Altern bewerten, wir können sie einordnen. Insofern würde ich sagen, Altern spielt sich zu einem ganz großen Anteil in unserem Kopf ab. Wir bewerten unser Älterwerden, wir bewerten unsere Gesundheit und unsere Möglichkeiten. Da müssen wir auch ansetzen, wenn wir für uns etwas anders machen wollen.

„Man ist so jung wie man sich fühlt“. Ist an dem Spruch was dran?

Der hat aus meiner Sicht - so platt er klingt - noch nie so viel empirische Evidenz, so viele Daten, die das unterstützen, gehabt wie heute. Wir wissen, ältere Menschen fühlen sich zu einem größeren Teil jünger. Wir wissen aus vielen Studien: Je jünger man sich fühlt, desto besser ist man über längere Zeit drauf. Man verhält sich aktiver, investiert mehr in alle möglichen Dinge, die man im Alter noch so machen kann. Es gab Studien, die haben gezeigt: Ältere Menschen, die sich jünger fühlen, sehen am Ende auch jünger aus. Insofern können wir auch ein bisschen unsere Biologie beeinflussen. Das finde ich unglaublich spannend.

Wie hartnäckig sind denn die Alters-Stereotypen?

Wir kriegen diese negative Alterscodierungen nur schwer aus unserer Gesellschaft raus. Ich glaube, wir müssen geduldig sein. Was mir Hoffnung macht ist, dass die älteren Menschen sich zunehmend selbst ihre Rolle nehmen. Der Wandel wird kommen, aber es wird dauern. Günter Kahlert