Kirchheim
Amtsgericht: Mais, Maschendraht und ein Wink mit den Zaunpfählen

Verhandlung Im Streit um die Zerstörung eines Maisfelds einigen sich die Kontrahenten nach zähem Ringen auf 125 Euro Schadenersatz.

Kirchheim. In der Landwirtschaft ist die Welt noch in Ordnung: Vereinbarungen werden mündlich getroffen und mit einem Handschlag besiegelt. Sie gelten über Jahrzehnte hinweg, die Ansprüche aus solchen Abreden werden „vererbt“ – und im Zweifelsfall bespricht man die Sache bei einem Schoppen, sollte eine dieser alten Vereinbarungen doch einmal verändert werden. – Wenn aber in diesem fein ausbalancierten Gefüge etwas durcheinandergerät, wird es ein Fall für die Justiz.

Ein entsprechender Fall hat sich im Frühling und im Sommer 2021 in Weilheim zugetragen: Ein Acker wird verkauft. Der neue Eigentümer signalisiert dem langjährigen Nutzer, dass sich für ihn dadurch nichts ändert. Er könne das Feld weiterhin bestellen, wie es ihm richtig erscheint, und er müsse auch keine Pacht bezahlen. Umgekehrt überlässt der bisherige Nutzer dem neuen Eigentümer ein anderes Grundstück an anderer Stelle, zu denselben Bedingungen. Man kennt sich, man duzt sich, man redet miteinander – in dem Bewusstsein, dass sich Probleme aus der Welt räumen lassen.

Beide Seiten haben überreagiert

Was auch immer zwischen den beiden Kontrahenten vorgefallen sein mag, ist nicht Gegenstand der Verhandlung im Kirchheimer Amtsgericht. Die Vorgeschichte: Der neue Eigentümer hat dem langjährigen Nutzer Anfang Mai 2021 eine Kündigung der Vereinbarung geschickt, schriftlich. Kurz vor dieser Kündigung, vielleicht auch einige Zeit danach, hat der bisherige Nutzer Mais aussäen lassen. Längst sprechen die beiden nicht mehr sonderlich freundschaftlich miteinander. Der neue Eigentümer legt dem Richter Briefe vor, die er erhalten hat. Diese Briefe hätten ihn auf die Palme gebracht und dafür gesorgt, dass er schließlich Mitte/Ende August 2021 den restlichen Mais untergefräst hat. „Normalerweise würde ich so etwas nicht machen“, räumt er irgendwann vor Gericht ein.

Die Zerstörung des erntereifen Getreides wiederum bringt die Gegenseite so in Rage, dass es auch dort zu einer Überreaktion kommt. Polizei und Staatsanwaltschaft werden eingeschaltet: „Das sind Futter- und Lebensmittel. Die fräst man doch nicht einfach so kurz vor der Ernte unter.“

Der Mais-Anbauer fordert Schadenersatz. 500 Euro veranschlagt er für den Mais, den er zu diesem Preis hätte verkaufen können, 150 Euro zusätzlich für den Maschendrahtzaun und die hölzernen Zaunpfähle, die ebenfalls zerstört worden waren. Die 650 Euro will er nun zivilrechtlich einklagen, nachdem die Staatsanwaltschaft die strafrechtliche Verfolgung schon bald wegen Geringfügigkeit eingestellt hatte.

Beiden Seiten geht es nicht wirklich ums Geld, das merkt man in der Verhandlung. Es geht ihnen darum, im Recht zu sein. Dr. Thorsten Häberlein, Richter am Amtsgericht, legt seine Rechtsauffassung dar: Demzufolge hat der Kläger die juristisch schlechteren Karten – auch deshalb, weil er kaum schriftliche Beweise vorlegen kann. Der Anwalt des Klägers will das so nicht akzeptieren, weil er selbst eine ganz andere Rechtsauffassung hat. Die Sache droht sich also in die Länge zu ziehen. Der Richter spricht von Sachverständigengutachten, die er dann benötigen würde. Diese würden mindestens 1 500 Euro kosten.

Er spricht dem Beklagten ins Gewissen. Voller Geduld ist er darum bemüht, den Fall ohne Urteil zu schlichten. Die Zerstörung des Getreides sei ja nun einmal nicht optimal gewesen. Wichtig ist es Richter Häberlein aber, dass beide Seiten den Gerichtssaal verlassen können, ohne sich als großen Verlierer und den anderen als glänzenden Gewinner sehen zu müssen – oder auch umgekehrt.

Feilschen um die rechte Summe

Also wird „wie auf dem Basar“ um die rechte Summe gefeilscht. Maximal 100 Euro will der Beklagte dem Kläger zahlen. Dem wiederum ist das zu wenig. Trotzdem nähern sich die Summen immer mehr der magischen „100“ an – von 300 über 200 auf 150. Am Schluss gibt es eine Verhandlungspause, nach der beide Seiten recht schnell gemeinsam mit ihren Anwälten 125 Euro akzeptieren. 

Der Beklagte zahlt noch im Gerichtssaal – bar auf die Hand. Die Vernunft hat gesiegt, der öffentliche Frieden ist wiederhergestellt. Der Grundkonflikt aber, der höchstens am Rande zur Sprache kam, dürfte nicht gelöst sein. Mit einer neuen Freundschaft ist eher nicht zu rechnen. Andreas Volz