Kirchheim. Der Prozess vor dem Stuttgarter Landgericht gegen einen 57-jährigen Vietnamesen aus Kirchheim wegen versuchten Totschlags, Vergewaltigung und Körperverletzung wird die Richter noch lange beschäftigen. Der Angeklagte bestreitet alle Vorwürfe. Er soll unter anderem einen Nachbarn eine Treppe hinuntergeworfen und dabei seinen Tod billigend in Kauf genommen haben (wir berichteten).
Am zweiten Tag der Verhandlung gegen den Angeklagten, der seit acht Jahren in Kirchheim wohnt, erfuhren die Richter, dass er zweimal verheiratet war, drei Kinder aus der ersten und zwei Kinder aus der aktuellen Ehe habe. Allerdings lebe er derzeit auch von der zweiten Frau getrennt in einem Zweifamilienhaus in Kirchheim, das er vor Jahren gekauft habe.
Zum Vorwurf, er habe seine Ex-Ehefrau am 23. Februar letzten Jahres in deren Wohnung vergewaltigt, und er habe auch einen Nachbar die Treppe hinunter geworfen, macht der Beschuldigte allerdings keine eigenen Angaben, sondern ließ von seinem Verteidiger eine Erklärung verlesen. Darin behauptet der 57-Jährige, dass die Sache mit der Vergewaltigung absolut erfunden sei. Seine Ex-Frau würde auch nach der Scheidung weiterhin in dem Haus wohnen und fordere ihn weiterhin zu Sexualkontakten auf. Sie habe zwar einen anderen Liebhaber, aber man sei immer wieder zusammen gekommen.
Bei solchen Gelegenheiten habe es auch Streit gegeben, nach dem Streit sei dann aber wieder die sexuelle Versöhnung gekommen. Ein Mal pro Woche sei dies der Fall gewesen, so auch an jenem 23. Februar letzten Jahres: Nach Streit: „Versöhnungs-Sex“, wie es in der anwaltlichen Erklärung hieß. Eine Vergewaltigung, wie die Anklage lautet, habe es nicht gegeben. Dass er während des Streits zu ihr gesagt habe, „Ich schlag dich tot“,leugne der Angeklagte nicht, aber das sei nicht so gemeint gewesen. Schließlich habe die Frau ihn auch mit einem Besenstiel angegriffen. Der Hauptvorwurf gegen ihn, er hätte Tage zuvor bei einem Familientreffen in dem Haus leicht alkoholisiert einen anwesenden Nachbarn absichtlich die Treppe hinunter geschubst, wobei das Opfer schwere Verletzungen erlitten habe, wird von ihm heftig zurückgewiesen. In der Anwalts-Erklärung lässt der Beschuldigte vortragen, dass man damals einige Biere und Wodka getrunken habe. Dann sei der Nachbar plötzlich sauer auf ihn geworden. Der Angeklagte habe die Türe geöffnet und sei weggegangen. Von dem angeblichen Treppensturz des Nachbarn habe er überhaupt nichts mitbekommen.
Angesichts dieser Entwicklung des Prozesses hat der Vorsitzende Richter der Großen Schwurgerichtskammer eine umfangreiche Beweisaufnahme angeordnet, um den wahren Sachverhalt einschließlich der familiären Hintergründe aufzuklären. Dazu sind zahlreiche Zeugenvernehmungen nötig. Ebenso werden zwei Sachverständige im Verfahren zugezogen, um zum einen beim Angeklagten den tatzeitbezogenen Alkoholspiegel festzustellen, andererseits auch dessen psychische Verfassung an den Tattagen.
Mit dieser Vorgabe hat das Gericht nunmehr noch weitere Verhandlungstage angesetzt, die bis ins nächste Jahr terminiert sind. Frühestens am 14. Februar nächsten Jahres werde es nach dem Gerichtsplan ein Urteil geben. Der nächste Prozesstag ist am 12. November. Bernd Winckler