Kirchheim
Antikriegstag in Kirchheim mit Berichten aus Syrien: „Wir haben alles verloren“

Aktionstag Beim Antikriegstag sorgen Erzählungen dafür, dass den Anwesenden das Thema „Krieg und Frieden“ unter die Haut geht: „Kinder sind mit dem Geruch von Blut und Schießpulver aufgewachsen.“ Von Peter Dietrich

Wie es aussieht, hat es für eine Massenveranstaltung nicht gereicht“, sagte Heinz Pötzl von Attac. Rund 100 Zuhörerinnen und Zuhörer waren der Einladung der Friedensinitiative Kirchheim (FIN.K) zur Kundgebung zum Antikriegstag auf dem Kirchheimer Marktplatz gefolgt. Bei den Reden wurde auch an 1983 erinnert: Damals hatten in Bonn 500 000 Menschen gegen den Nato-Doppelbeschluss demonstriert. Das war nur eine ferne Erinnerung, doch das Thema Frieden ist aktueller denn je – gibt es doch weltweit derzeit mehr als 20 bewaffnete Konflikte.
Die Folgen eines Krieges beschrieb Fayez Alali eindrücklich, er ist vor sechseinhalb Jahren aus Syrien geflohen. „Stellt euch mal Folgendes vor“, bat er: „Morgen bricht ein Krieg aus, dieser Krieg dauert zehn Jahre und hört einfach nicht auf. Jeden Tag Zerstörung, jeden Tag Tote. Genau das passiert gerade in Syrien. Syrien ist wie ein Albtraum, für diejenigen, die es bis heute überlebt haben.“

Seine Familie lebt nun auch in Deutschland. „Wir haben lange gebraucht, um uns sicher zu fühlen. In bestimmten Momenten saßen wir in Syrien da und haben auf den Tod gewartet, jeden Tag und jede Nacht kam er uns näher.“ Einen Monat nach der Ankunft hörte seine Frau ein Flugzeug. „Sie packte die Kinder und rannte schreiend in den Keller, weil sie gedacht hat, dass das Flugzeug Bomben abwerfen würde.“

Fayez Alali kam in Syrien ins Gefängnis. „Ich habe die schlimmsten Folterarten miterlebt, die man sich nicht vorstellen kann.“ Zivilisten hätten in diesem Krieg nicht neutral bleiben können: „Sie wurden gezwungen, zu den Waffen zu greifen, auch mein zwölfjähriger Sohn. Kinder sind mit dem Geruch von Blut und Schießpulver aufgewachsen, unsere Kinder haben ihre Kindheit nicht gelebt, die meisten Schulen wurden zerstört. Wir haben in unserem Land alles verloren, unsere Familien, Freunde, Häuser, unsere Arbeit, unsere Erinnerungen, alles.“

Etwa 500 000 Syrer seien getötet worden, darunter mindestens 25 000 Kinder, zweieinhalb Millionen Menschen hätten bleibende Behinderungen. „Ich habe verwesende Leichen von Menschen auf den Straßen gesehen, sie wurden von Straßenhunden gefressen. Einer meiner Freunde wurde enthauptet und vor sein Haus geworfen. Schmerzhafte Erinnerungen begleiten uns jeden Tag in unseren Träumen. Ich bitte Sie, gegen Kriege in allen Teilen der Welt zusammenzustehen.“

Zusammenstehen wollten auch die deutschen Gewerkschaften und organisierten ab den 1950er-Jahren den 1. September als Antikriegstag. Das Motto „Nie wieder Krieg“, sagte Heinz Pötzl, sei ein „sehr optimistisches Motto“ gewesen. Für die DGB-Gewerkschaften sprach Hans Dörr und zitierte Berthold Brecht. „Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer“, hatte dieser 1952 geschrieben. „Allzu viele kommen uns heute schon vor wie Tote, wie Leute, die schon hinter sich haben, was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen“, sagte Dörr.

Karl-Heinz Wiest von Pax Christi sprach über Afghanistan, „eine Katastrophe mit Ansage“. Die Friedensbewegung habe den Bundeswehreinsatz immer kritisch gesehen: „Zusammenarbeit mit Warlords, einer korrupten Regierung und einem korrupten Sicherheitsapparat, Militärschläge mit vielen zivilen Opfern und vor allem keine Strategie.“ Ob das Konsequenzen für andere Auslandseinsätze habe, wie in Mali? Ein Skandal seien die deutschen Rüstungsexporte in Krisengebiete und in Staaten, deren Regierungen Völkerrecht und Menschenrechte missachten. „Die Grundsätze der Bundesregierung, die das eigentlich ausschließen, sind manchmal das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Wir brauchen ein Rüstungsexportkontrollgesetz.“

Diakon Rainer Wagner ergriff für die Kirchen das Wort. Für ihn zeigt Afghanistan „einmal mehr, wie wenig es gelingen kann, Frieden mit Waffengewalt zu erzwingen“. Nach biblischem Verständnis meine Frieden, hebräisch Schalom, umfassendes Glück, Gesundheit und Wohlergehen. Rainer Wagner sprach das ökumenische Friedensgebet für 2021 aus Nigeria: für ein Ende der Gewalt, für Verständnis und Respekt, ungeachtet der Unterschiede zwischen Menschen.
Ganz unterschiedlich sind auch die sechs Musiker der Band Kupayaku, sie kommen aus sechs Nationen. Vier davon – eine Frau und drei Männer – erfreuten die Gäste mit eingängiger, vielfältiger Musik von Blues bis Reggae. Der Name der Band steht in der Quechua-Sprache für „gemeinfreies Wasser, Wasser für alle“.

 

Stimmen aus der Politik

Der grüne Kreisrat Michael Holz forderte den Kreis Esslingen auf, sich wie die Stadt Kirchheim dem ICAN-Städteappell zum Verbot der Atomwaffen anzuschließen. Er kritisierte die deutschen Rüstungsexporte vehement, damit werde Deutschland zum Kriegstreiber. Er benannte die Kriegsmaschinerie als „großen CO2-Treiber“ und hinterfragte den Nutzen von 408 deutschen Panzern: „Wo wollen wir damit hinfahren, an die Côte d‘Azur?“

Für die Linke sprach Bundestagskandidat Hüseyin Sahin und erinnerte an die Bedeutung der US-Militärbasis Ramstein für den Drohnenkrieg. Er fragte: „Warum hat der Bundestag im Mai den Antrag, die afghanischen Ortskräfte zu evakuieren, abgelehnt?“ Er kritisierte den geplanten Anstieg der deutschen Rüstungsausgaben auf bis zu 75 Milliarden Euro im Jahr: „Welches Land wollen wir als nächstes mit Bomben demokratisieren?“

Nils Schmid, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, erlebte bei seinem Plädoyer für ein „differenziertes Herangehen“ und für teilweise Militäreinsätze Zwischenrufe und deutlichen Widerspruch. Er sprach sich aber klar für ein Rüstungsexportgesetz aus. „Wir haben die Verantwortung, Rüstungsexporte zu beschränken.“ Er dankte der FIN.K: „Sie geben dem Thema Frieden vor Ort wieder mehr Gewicht.“ pd