Kirchheim

Antonio Stradivari und die Diva

Für das Leben lernen: Der Geigenbaumeister Martin Schleske erzählt im Steingauzentrum

Vom renommierten Geigenbauer Martin Schleske konnten die Zuhörer im gut gefüllten Steingauzentrum viel lernen: über den Geigenbau und das Leben.

Peter Dietrich

Kirchheim. Warum hat Antonio Stradivari so außergewöhnliche Geigen gebaut? „Er musste 55 Jahre alt werden, um gute Geigen zu bauen“, sagte Schleske. Seine goldene Periode habe er im Alter zwischen 55 und 75 Jahren gehabt. Er sei sich und seiner Sache treu geblieben. Das blieb auch Schleske, aus Überzeugung. Seine Ausbildung zum Geigenbaumeister in Mittenwald ergänzte er, um noch mehr Hintergrundwissen zu bekommen, mit einem Physikstudium. Das Thema seiner Diplomarbeit waren die Eigenschwingungen im Werdegang einer Geige.

Nach der Eröffnung seines Ateliers durchlief er eine Krise. Mangels Kunden, erzählte er, habe er „Solidarität mit Gott“ gefühlt: „Du bist da, aber keiner kommt.“ Einer der Ersten, der zu ihm kam, war der Südtiroler Geiger Alban Beikircher. Er hatte als Solist viele Jahre lang eine Geige von Domenico Montagnana gespielt, erbaut in Venedig im Jahr 1729. „Die Geige hat ein Problem“, sagte ihm Schleske mutig. „Sie ist nicht belastbar.“ Beikircher vertraute Schleske. „Dann war ich einige Tage alleine mit dieser Geige“, erzählte Schleske.

Er stellte fest, dass sie einen neuen Stimmstock brauchte. Nicht umsonst bezeichneten die Italiener diesen als „anima“, als Seele der Geige. Heute spielt Beikircher keine Montagnana mehr, sondern eine Schleske – sie heißt Opus 149. Sie spielte er auch im Steingauzentrum der Evangelisch-freikirchlichen Gemeinde, von Bach bis Paganini, letzteres dreistimmig auf einer einzigen Geige.

Drei oder vier Jahre lang nahm Schleske sich die Geige von Montagnana zum Vorbild. „Ich habe versucht, Mittenwald zu verlernen.“ Dann bekam er eine Stradivari aus dem Jahr 1711 in seine Werkstatt. „Die war ganz anders als die Montagnana.“ Sie sei wie eine Diva gewesen: „Fass mich nicht an, du kannst nicht mit mir kämpfen.“ Ein dritter großer Lehrer wurde für Schleske der Geigenbauer Guarneri del Gesù. „Er war ein schlampiger und zugleich genialer Meister, seine G-Seite macht süchtig.“ Alles, was wir lieben, sagt Schleske, könne uns zur Lebensschule werden, auch der Geigenbau.

Viele kleine Schritte führten zur Geige. Im Leben seien „die kleinen Schritte radikal, denn sie finden tatsächlich statt“. Anders als die großen Schritte, über die immer nur geredet werde. Seinen Leichtsinn, sich nach einem Windbruch bei Schnee mit Kettensäge und Holzfällerwerkzeug im Gebirgstal die „Sängerstämme“ für seinen Geigenbau zu sichern, gab Schleske offen zu. „Wir kamen uns wie Blattläuse auf Mikadostäben vor.“

„In einigen Wochen ist das eine Geige“, sagte Schleske zu dem Stück Holz, das er in den Händen hielt. An der richtigen Stelle gehalten und an der richtigen Stelle geklopft, entfaltete es einen erstaunlichen Klang. „Die Größe des Tons macht das Holz, die Klangfarbe der Meister.“

Der Meister muss dem Holz gerecht werden, dürfe beim Geigenbau nicht zu weit gehen – dürfe aber auch nicht zu früh enden. Wie bei einem Gemälde, bei dem der Meister wissen müsse, wann es fertig sei. Wie im Leben, in dem der selbstherrliche Stolz genauso schädlich sei wie die zögerliche Angst. Sie lässt einen Menschen hinter dem zurückbleiben, zu dem er berufen sei. Wie das Holz nur dann seinen Klang entfaltet, wenn es an der richtigen Stelle gehalten wird, müsse der Mensch für seinen „Lebensklang“ an der richtigen Stelle gehalten sein. „Jesus hat gezeigt, was es heißt, wenn der Mensch aus Vertrauen lebt.“

In seinem Meisteratelier hat Schleske seinen Mitarbeitern während der Arbeit Musikhören und Reden verboten. Nur aus der Stille komme die Musik, ist er überzeugt. Auch im Steingauzentrum war es über zwei Stunden lang mucksmäuschenstill. Dann kam der aufgesparte Applaus – das Publikum erhob sich zu Ehren von Martin Schleske und Alban Beikircher von den Plätzen.