Kirchheim

Auf den Spuren des Mahnmals

Geschichte Volkshochschule vor Ort: Günther Erb rückt das Mahnmal für zivile Opfer des Nationalsozialismus in den Mittelpunkt einer Friedhofsführung und stellt Gräber von Opfern wie von Tätern vor. Von Andreas Volz

Nicht nur um das neue Mahnmal ging es bei einer Führung auf dem Alten Friedhof in Kirchheim, sondern auch um viele Gräber, die m
Nicht nur um das neue Mahnmal ging es bei einer Führung auf dem Alten Friedhof in Kirchheim, sondern auch um viele Gräber, die mit dem Denkmal zu tun haben.Foto: Jean-Luc Jacques

Das Mahnmal für die zivilen Opfer des Nationalsozialismus in Kirchheim könnte keinen besseren Standort haben als auf dem Alten Friedhof. Das zeigte Günther Erb auf, indem er den Schwerpunkt einer Friedhofsführung auf die Zeit des Nationalsozialismus legte: Zahlreiche Gräber erinnern bis heute an die Geschehnisse von damals, an Opfer wie an Täter.

Direkt neben dem Denkmal liegen die Gräber russischer Zwangsarbeiter. Ein paar Schritte weiter das Grab eines Ehrenbürgers: Bürgermeister Andreas Marx. Günther Erb sieht dessen Rolle zwiespältig. „Er war kein Mitglied der NSDAP, hat aber trotzdem deren Politik erfüllt.“ Von Marx nicht weit entfernt ruht Rosa Heinzelmann, nach der im Steingau-Quartier eine Straße benannt werden soll. Als Krankenschwester in städtischen Diensten war sie 1936 entlassen worden, nachdem sie aus der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt ausgetreten war. Die Verbindung zu Andreas Marx ist naheliegend, denn er hatte als ihr oberster Dienstherr letztlich ihre Entlassung zu verantworten.

Weitere Verbindungslinien gibt es zwischen dem Grab der Familie Mammele und dem Grab der Familie Reinhardt, die ebenfalls nicht weit voneinander entfernt sind. Die Familie Mammele hat einst den Goldenen Adler betrieben, dessen Saal der größte in Kirchheim war. Er fasste 600 Personen. Den Saal vermieteten die Wirte natürlich auch an nationalsozialistische Gruppen. Dort haben sich zunächst die Horden gesammelt, die den ersten Übergriff auf Pfarrer Otto Mörike begingen.

Nach dem Krieg wiederum wurde während eines Tanzabends im Goldenen-Adler-Saal Kurt Spindler erschossen, im November 1947. Es war eine Eifersuchtsgeschichte, die den damals 28-Jährigen das Leben kostete. Spindlers Mutter hatte in zweiter Ehe in die Familie Reinhardt eingeheiratet, die viele Opfer zu beklagen hatte - Todesopfer in Konzentrationslagern ebenso wie Opfer von Zwangssterilisationen.

Am Grab der Familie Olpp betont Günther Erb: „Es geht mir nicht darum, heutige Familien an den Pranger zu stellen. Es geht um das, was ihre Vorfahren gemacht haben.“ Hans Olpp beispielsweise hatte gegen Kriegsende in Unterfranken angeordnet, dass fünf russischen Kriegsgefangene erschossen wurden - von fünf Hitlerjungen. Nach dem „Röhm-Putsch“ 1934 waren aber beide Olpp-Brüder als Anhänger von Gregor Strasser massiv gefährdet. Walter Olpp hat sich übrigens für Kirchheimer Kommunisten eingesetzt, die auf dem Heuberg interniert waren. Wer unterschrieb, dass er sich künftig nicht mehr politisch betätigen würde, konnte unbehelligt nach Kirchheim zurückkehren.

Der einzige, der nicht unterschrieb, war Theodor Schönleber. Günther Erb bedauert es außerordentlich, dass dessen Familiengrab aufgelöst ist. Schönleber war nach dem Krieg und nach seiner Zeit als Ankläger der Kirchheimer Entnazifizierungsverfahren wieder als Lehrer tätig - wie schon vor 1933.

Ein weiterer Lehrer, der nach dem Krieg wieder in den Beruf zurückkehren konnte, war der Heimatforscher Carl Mayer. Sein Grab ist ebenfalls abgeräumt. Seither erinnert aber eine Gedenktafel auf dem Alten Friedhof an ihn. Und künftig soll auch nach ihm eine Straße auf dem ehemaligen EZA-Gelände benannt werden.

Dasselbe gilt für Paul Schempp. Auch ihm war zeitweise die Ausübung seines Berufs als Pfarrer und Lehrer untersagt worden. Der Bruder des Flugzeugbauers und Interimsbürgermeisters Martin Schempp liegt ebenfalls auf dem Alten Friedhof in Kirchheim begraben. Auch an ihn, den Günther Erb als „einen der größten Theologen seiner Zeit“ bezeichnet, erinnert künftig ein Straßenname.

Täter bittet Opfer um Persilschein

Auch Otto Mörike, der nicht in Kirchheim begraben liegt, kommt zu Straßennamen-Ehren. Ein anderes Grab auf dem Alten Friedhof hat aber mit ihm zu tun: Dort liegt Wilhelm Luchs, der an den Ausschreitungen gegen Otto Mörike beteiligt war. Das hinderte ihn später nicht daran, Pfarrer Mörike um einen „Persilschein“ zu bitten.

Günther Erbs Führung hat auf jeden Fall gezeigt: Ein Friedhof kann höchst lebendig sein - wenn man um die Geschichten hinter der Geschichte weiß.