Kirchheim

Barmherzigkeit braucht Gerechtigkeit

Der Diakonische Grunddienst des Kreisdiakonieverbands hilft jährlich rund 1 200 Menschen

In der Medizin gibt es Fachärzte, in der Diakonie Fachdienste wie die Schuldner- und Schwangerschaftskonfliktberatung. Doch wohin, wenn die Not in keine Spezialisierung passt?

Die Diakonie, wie hier der Eckpunkt in Kirchheim, ist trotz Pandemie für ihre Klienten da. Um für mehr Sicherheit zu sorgen, sta
Die Diakonie, wie hier der Eckpunkt in Kirchheim, ist trotz Pandemie für ihre Klienten da. Um für mehr Sicherheit zu sorgen, stattet der Kreisverband alles Haupt- und Ehrenamtlichen mit Selbsttests aus .Foto: Deniz Calagan

Kirchheim/Esslingen. Es gibt ihn: Der evangelische Kreisdiakonieverband im Landkreis Esslingen bietet an seinen Diakonischen Bezirksstellen in den vier Kirchenbezirken den Diakonischen Grunddienst an. Er ist in Kirchheim, Bernhausen, Esslingen, der Brücke Plochingen und Nürtingen vertreten. Nun hat der Kreisdiakonieverband aktuelle Zahlen präsentiert: Es sind konstant rund 1 200 Menschen im Jahr, die mit ihrer Lebenssituation nicht klarkommen, sich in psychosozialen Notlagen befinden. Die Sozialarbeiter leisten professionellen Beistand, im Bedarfsfall in Zusammenarbeit mit den anderen Fachdiensten des Verbands.

Unterstützt werden Hilfesuchende, die etwa Hartz IV beantragen müssen und durch den Behördendschungel irren. „Den Bescheid versteht auch jemand mit Studium nicht“, kritisiert Eberhard Haußmann, Geschäftsführer des Kreisdiakonieverbands, den ALG-II-Bescheid, der es mitunter auf 20 Seiten bringt. Der Diakonische Grunddienst hilft auch dann, wenn die Mietkosten das Budget übersteigen, der Strom abgestellt wurde und die Not immer größer wird. Oft bekommen die in Not geratenen Menschen den Tipp mit der Diakonischen Bezirksstelle von Freunden und Bekannten. Andere finden den Dienst in den Sozialen Netzwerken, werden von Ämtern und Pfarrämtern geschickt. Gut 500 000 Euro jährlich aus Kirchensteuern finanzieren den Dienst. Dazu kommen Spenden, Gottesdienstopfer sowie Unterstützung aus Weihnachtsaktionen des Teckboten, der Esslinger Zeitung und der Stuttgarter Zeitung. Weit über 400 Mal haben Berater im Vorjahr mit kleinen und größeren Beträgen ausgeholfen, manchmal auch mit Rückzahlungsvereinbarungen. Etwa die Hälfte der Hilfesuchenden hat Migrationshintergrund.

Anne Burkhardt, Sozialpädagogin im Diakonischen Grunddienst, hat Ausdauer. Ein Jahr lang hat sie einer jungen Familie in Plochingen bei der Wohnungssuche geholfen. Letztlich mit Erfolg. Der Mann arbeitet in Vollzeit, aber 1 300 Euro netto im Monat reichen nicht für eine Familie mit Baby. „Von einer Vollzeitstelle im Niedriglohnbereich kann eine Familie nicht leben, das ist ein Skandal“, sagt die Fachbereichsleiterin Ingrid Riedl. „22 Prozent aller Vollzeitstellen liegen in diesem Bereich, Leiharbeit hat sich in zehn Jahren verdoppelt. Welche Lebensperspektiven lassen sich mit Befristungen entwickeln?“ Niedriglöhne führten zwangsläufig in Altersarmut und belasteten die Sozialkassen. „Teilhabe kostet Geld, Armut führt in die Isolation.“ Mancher Klient löst seine Rezepte nicht mehr ein, er kann sich den Eigenanteil nicht mehr leisten. Manche schämen sich, nehmen das, was ihnen zusteht, nicht in Anspruch – etwa die Aufstockung auf Grundsicherung. „Wir übersetzen zwischen Hilfebedürftigen und Ämtern“, sagt Burkhardt und weiter: „Wir versuchen, Augenhöhe herzustellen.“ Denn zum Jobcenter gehen und mit dem Sachbearbeiter reden, das können Hilfebedürftige manchmal schon aufgrund der Sprachbarriere nicht.

„Barmherzigkeit braucht Gerechtigkeit und umgekehrt“, betont Haußmann. Er versteht den Diakonischen Grunddienst als „Stachel im Fleisch“: „Wir fordern eine Umverteilung von Geld. Das Geld ist da, ich weiß nicht, warum sich die Politik da ziert. Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum und Löhne, die auskömmlich sind.“