Kirchheim
Bauarbeiten strapazieren Geduld: „Immer ein Vesper mitnehmen“

Nahverkehr Die S-Bahn zwischen Kirchheim und Wendlingen ist lahmgelegt und der Teckbote testet, wie der Schienenersatzverkehr funktioniert. Ein Landtagsabgeordneter macht seinem Ärger bei Facebook Luft. Von Thomas Zapp

Nach wenigen Minuten wird es etwas unrelaxed im Relex-Bus der Linie X10 an der Haltestelle im Kirchheimer Bahnhof: Immer mehr Menschen kommen, um den auf der DB-App angezeigten Ersatzbus nach Wendlingen zu nehmen, und quetschen sich weiter in den Schnellbus. Irgendwann teilt der Fahrer leicht genervt mit, dass keiner mehr zusteigen kann und direkt hinter ihnen der Ersatzverkehr abfährt.

Also nichts wie zwischen stehenden Menschenleibern durchgedrückt, aussteigen, wieder einsteigen und siehe da: Entspannte Leere herrscht im SEV über Ötlingen. Vielleicht liegt es daran, dass der gar nicht angezeigt war in der DB-App.
 

Vielleicht mache ich bald die Kirchheimer Dampflok wieder startklar?
Andreas Kenner
erinnert an Zeiten, in denen die Deutsche Bahn als zuverlässig galt.
 

Der Grund könnte darin liegen, dass es einen Nachteil gibt, der sich relativ schnell bemerkbar macht: Er ist deutlich langsamer als der Relex-Bus, denn er hält an mehr Haltestellen – unter anderem in Ötlingen. Das wird die Ötlinger freuen, aber nicht diejenigen, die schnell nach Esslingen oder Stuttgart kommen müssen.

Seit etwas mehr als einer Woche ist die S-Bahn zwischen Kirchheim und Wendlingen wegen Bauarbeiten lahmgelegt, und voraussichtlich bis zum Wochenende wird es noch so bleiben.
Ein Rentner aus Kirchheim, der mittlerweile in Herrenberg wohnt, kennt die Strecke seit 20 Jahren und hat pro Richtung eine halbe Stunde Puffer eingeplant – wenn das reicht. Insgesamt vier Stunden ist er mit Bus und Bahn unterwegs, um seinen Arzttermin in seiner Heimatstadt wahrzunehmen. Dadurch kann er das 9-Uhr-Ticket am Morgen nicht mehr nutzen. Er macht vor allem ein Kommunikationsproblem der Bahn aus: So hat er vor Jahren einen geschäftlichen Termin in Kirchheim um 16 Uhr verpasst, weil der Zug in Plochingen endete und es der Zugführer erst vor Ort mitteilte.

In Wendlingen fährt die S-Bahn aus Herrenberg ein, dann heißt es erst mal warten, bevor sie wieder in die andere Richtung nach Esslingen und Stuttgart fährt. Denn: Ihr Fahrplan ändert sich ja nicht, die Zeiten bleiben gleich. Was sie bei normalem Betrieb für die Strecke nach Kirchheim und zurück gebraucht hätte, bleibt sie nun im Wendlinger Bahnhof stehen. Als sie dann losfährt, ist es „wie immer“, nur dass es bei der Ankunft um 13.15 Uhr fast eine Stunde für Kirchheim–Esslingen gebraucht hat. Der 30-Minuten-Puffer des Bahn-Experten ist aufgebraucht.

Der Kirchheimer SPD-Landtagsabgeordnete Andreas Kenner spricht sarkas­tisch vom „letzten großen Abenteuer Bahnfahren“. Er braucht für den Weg mit der „Tour de Dörfle“ 80 Minuten nach Stuttgart, während es mit dem Auto 30 sind. „Klimaschützen ist in Baden-Württemberg sehr zeitaufwendig“, schreibt er auf seinem Facebook-Account.

Die Tour de Dörfle gibt es dann auf dem Rückweg von Esslingen nach Kirchheim. Die S1 um 13.27 Uhr endet zehn Minuten später in Plochingen. Dort dauert es wiederum fast eine halbe Stunde, bis der Bus der Linie 144 nach Kirchheim fährt, über Stationen in Reichenbach, Hochdorf und Notzingen sowie an diversen Milchkannen. Resultat: Die Tour über die Dörfer erreicht um 14.45 Uhr Kirchheim, also rund eine Stunde und zehn Minuten.

Immerhin lernt man Land und Leute kennen und die Schnelligkeit einer S-Bahn – so sie denn fährt. Und da auch der Bus mal ausfallen kann, gilt der Rat des Landtagsabgeordneten Kenner: „Mein Tipp für alle ÖPNV-Fahrer/-innen: Immer ein Vesper mitnehmen.“