Kirchheim

Beim Thema Sterben darf gelacht werden

Arbeitsgemeinschaft feiert 25-Jähriges

Trauer Zwischen Humor und Ernsthaftigkeit: 370 Menschen lachen, weinen und twisten in der Kirche Maria Königin bei der Konzert-lesung „Letzte Lieder.“ Von Monika Läufle

Leicht, heiter und doch ernsthaft. So näherte sich die Veranstaltung „Letzte Lieder“ dem Thema Sterben und Hospiz. Foto: Monika
Leicht, heiter und doch ernsthaft. So näherte sich die Veranstaltung „Letzte Lieder“ dem Thema Sterben und Hospiz. Foto: Monika Läufle

Welche Musik ist Ihnen kostbar? Diese Frage stellt Stefan Weiller seit zehn Jahren sterbenden Menschen. Gespräche, die er in Hospizen in ganz Deutschland und der Schweiz führt, inspirieren ihn zu Texten, die er mit musikalischer Untermalung auf die Bühne bringt. Damit will er dazu ermutigen, sich mit dem Thema Tod und Sterben auseinanderzusetzen. Das gleiche Ziel verfolgte auch die Arbeitsgemeinschaft Hospiz, als sie Weiller zum zweiten Mal nach Kirchheim eingeladen hatte. Das Konzert ist Teil einer Veranstaltungsreihe, in der die AG ihr 25-jähriges Bestehen feiert.

Was sind also Lieder, die für sterbende Menschen in der letzten Lebensphase eine wichtige Rolle spielen. Einen Bewohner lässt Weiller in seinem Text scherzhaft antworten: „Lebt denn der alte Holzmichl noch?“ Dem Sterbenden komme es vor, als würden nur noch alle auf seinen Tod warten und nur noch diese Frage stellen. „Dass ich weiterlebe, da müssen wir nun alle durch“, lässt er wissen.

19 fiktive Hospiz-Zimmer besuchte das Publikum zusammen mit Weiller. Jeden Bewohner stellt der Autor kurz vor. Danach kommt jeder Sterbende selbst zu Wort und verrät seine Gedanken. Sprecherin Birgitta Assheuer leiht diesen Gedanken auf beeindruckende Art und Weise ihre Stimme. Immer mit einem versteckten Schmunzeln, ohne jemals ins Lächerliche zu verfallen oder das Sterben zu verharmlosen. Sie erzählen von einer Bewohnerin, deren Zimmer mit Souvenirs vollgestopft ist. Die sind, wie sie selbst zugibt, scheußlich, doch erinnert sie der Nippes an besondere Momente. Sie schildert, wie sie ihren Neffen veräppelte, indem sie ihm erzählte, dass sie ihr Geld der Kirche vererbt, er aber die ganzen Erinnerungsstücke bekommt.

Sie erzählen auch von einem Mann, der eine Liste erstellt hat, was er nie mehr machen würde. Dazu gehört beispielsweise Flatulenzen so lange zu unterdrücken, bis es weh tut. Stefan Weiller und seine sechs mitgereisten Künstler schaffen den perfekten Spagat zwischen Humor und Ernsthaftigkeit - keine leichte Aufgabe bei diesem Thema.

Nach jeder Geschichte tragen die Musiker das angesprochene Lied vor. Ob Oper, russische Schlaflieder, Popsongs oder französische Filmmusik, alle Genres waren vertreten. In Kirchheim war eine „Light“-Version der Konzertreihe zu sehen, eine verkleinerte, kammermusikalische Fassung. Normalerweise stehen eine ganze Band, Tänzer und Streichorchester auf der Bühne. Trotzdem kam es niemand im vollen Kirchensaal vor, als würde etwas fehlen. Die Sängerinnen Marina Unruh und Sophie Wenzel berührten mit ihren glockenklaren Stimme. Ralf Sach und Heike Wagner zeigten an einer Vielzahl an Instrumenten ihr Können. Andreas Sach sorgte mit seiner Video-Kunst für die visuelle Untermalung.

Die Tränen kullern

Beim gemeinsamen Singen dauerte es eine Weile, bis das Publikum seine Scheu abgelegt hatte. Doch dann machten alle mit. Immer wieder sah man Menschen in den Rängen, die sich mit dem Taschentuch Tränen von den Wangen wischten. Um dann kurz darauf, als eine lustige Stelle vorgetragen wurde, laut mitzulachen. Als die letzten Töne verklungen waren, wollte niemand im Publikum die besondere Atomsphäre brechen - die Stille wirkte eindrucksvoll auf den Raum. Erst nach vielen Augenblicken klatschten die ersten in die Hände. Nicht viel später, und die Zuhörer hatten sich erhoben um den Vortragenden mit Standing Ovations Tribut zu zollen. Zum Abschluss wurde über die Lautsprecher „Let’s twist again“ eingespielt. Und so twisteten die Menschen in der Kirche zusammen mit den Künstlern. Beschwingt, leicht, und doch tief berührt.

Im Jahr 1994 ist die Arbeitsgemeinschaft Hospiz gegründet worden. Inzwischen engagieren sich 40 ausgebildete Ehrenamtliche und zwei hauptamtliche Koordinationskräfte. Sie begleiten schwerstkranke und sterbende Menschen, unterstützen und begleiten Angehörige und trauernde Menschen. Im Rahmen der Jubiläums-Veranstaltungsreihe gab es im Januar bereits ein Theaterstück zu sehen. Am 10. November findet um 10.30 Uhr ein Festgottesdienst in der Martinskirche statt, in der eine Artistin eine Vertikaltuch-Perfomance zeigt. ml

Autor Stefan Weiller (am Pult) schrieb die Texte und initiierte die Konzertreihe.
Autor Stefan Weiller (am Pult) schrieb die Texte und initiierte die Konzertreihe.