Kirchheim
Besser durch die Krise als erwartet

Rückblick Corona, Strukturwandel und konjunkturelle Schwäche haben den Arbeitsmarkt belastet. Kurzarbeit als „Brücke“ hat aber ihren Preis. Von Heike Siegemund

Die Pandemie hat uns mit voller Wucht getroffen, aber der Arbeitsmarkt ist trotzdem deutlich besser durch die Krise gekommen, als es zu erwarten war.“ Mit diesen Worten blickte Karin Käppel, die neue Chefin der Agentur für Arbeit Göppingen, gestern bei einer Online-Pressekonferenz auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes im ­vergangenen Jahr zurück. Neben den Auswirkungen der Corona-Krise prägten auch der Strukturwandel und eine konjunkturelle Delle das Jahr 2020 im Agenturbezirk, der die Kreise Esslingen und Göppingen umfasst.

Von einer „starken Brücke“ sprach die Agenturchefin mit Blick auf das Kurzarbeitergeld, das die Unternehmen 2020 enorm in Anspruch nahmen. „Das hat immens viele Arbeitsplätze gerettet“, betonte Karin Käppel. Dadurch sei der Arbeitsmarkt nicht komplett eingebrochen.

Trotzdem sei die Zahl der bei der Arbeitsagentur von den Unternehmen gemeldeten freien Stellen deutlich zurückgegangen. Leichte Probleme hatte es bei der Nachfrage nach Arbeitskräften bereits im Jahr 2019 gegeben, ergänzte die Agenturleiterin. „Gleichwohl gab es im vergangenen Jahr keinen Stillstand. Viele Menschen konnten sich wieder bewerben und in den Arbeitsmarkt einfinden.“

Bei den Beschäftigtenzahlen konnte die Arbeitsagentur seit 2015 einen Anstieg verzeichnen. Dann kam Anfang 2020 der Rückgang, der bei Männern stärker ausgeprägt war als bei Frauen, informierte Karin Käppel weiter. Auch bei jungen Menschen unter 25 Jahren war der Rückgang der Beschäftigung überdurchschnittlich hoch. Ein Minus bei den Beschäftigtenzahlen gab es vor allem im verarbeitenden Gewerbe, bei der Zeitarbeit, im Bereich Verkehr und Lagerei sowie im Handel und Gastgewerbe. Ein Plus registrierte die Arbeitsagentur bei den Finanz- und Versicherungsdienstleistungen, zu denen auch Steuerberater zählen. Zuwächse gab es auch im Bereich Information und Kommunikation, im Gesundheitswesen sowie bei der Energieversorgung.

Insgesamt betrug der Rückgang der Beschäftigung im Vergleich zum Vorjahr 0,6 Prozent. In den beiden Landkreisen stellt sich die Situation unterschiedlich dar: Während im Kreis Göppingen die Zahl der Beschäftigten um 1,8 Prozent deutlich stärker zurückging, blieb die Beschäftigung im Kreis Esslingen bei einem Rückgang von 0,1 Prozent nahezu kons­tant. Der Rückgang unter anderem im verarbeitenden Gewerbe und im Gastgewerbe konnte dort durch ein starkes Plus in anderen Bereichen, zum Beispiel im Gesundheitswesen, ausgeglichen werden.

„Nach wie vor sehen Sie mich als Optimistin. Menschen finden immer noch Möglichkeiten, eine Beschäftigung aufzunehmen“, verdeutlichte Karin Käppel. Chancen gebe es insbesondere im Handwerk, bei den IT-Berufen, im öffentlichen Dienst und im Gesundheitswesen - bei Letzterem nicht nur in der Pflege, sondern auch in der Verwaltung. Die Nachfrage sei vor allem auf Fachkräfte und Spezialisten fokussiert, aber auch Helfer seien gefragt. Immens wichtig sei dabei nach wie vor das Thema Qualifizierung: „Dabei unterstützen wir gerne“, sagt sie.

Pandemie noch Jahre spürbar

Als das „Instrument des Jahres 2020“ bezeichnete Geschäftsführerin Bettina Münz die Kurzarbeit. Sie zog dabei einen Vergleich zur Finanzkrise 2009/10: „Schon damals hatten wir bei der Kurzarbeit hohe Zahlen. Die Hoffnung, dass wir da nicht mehr hinkommen, hat Corona zerstört.“ Ab März 2020 sei die Kurzarbeit „nachgerade explodiert“. Im Juni habe etwa jeder fünfte Beschäftigte kurzgearbeitet. Im Mai war der Stand mit 75 678 Arbeitnehmern in 5761 Betrieben am höchsten. Zum Vergleich: Im Jahr 2009 hatte es im Agenturbezirk im Durchschnitt 21 450 Kurzarbeiter in 891 Betrieben gegeben. Eine solche extreme Steigerung im Jahr 2020 hätte im Vorfeld „keiner geglaubt und für möglich gehalten“, sagte Bettina Münz.

Die explodierenden Kurzarbeiterzahlen hatten auch Auswirkungen auf die Finanzen: So gab die Arbeitsagentur insgesamt 628 Millionen Euro aus (2019: 205 Millionen Euro), davon 203 Millionen Euro für Kurzarbeitergeld (2019: 12 Millionen) und 125 Millionen Euro für Arbeitslosengeld (2019: 84 Millionen). Es werde eine der spannendsten Fragen, wie sich die Situation weiterentwickelt: von der Kurzarbeit zur normalen Beschäftigung oder „hoffentlich nicht“ zur Arbeitslosigkeit, sagte ­Bettina Münz.

Nach wir vor wolle man das Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld so schnell wie möglich auszahlen, um Existenzen zu sichern, ergänzte Karin Käppel. Vermutlich werde die Arbeitslosigkeit noch ansteigen und die Pandemie nach Einschätzung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung noch gut drei Jahre auf dem Arbeitsmarkt zu spüren sein. Die Agenturleiterin zeigte sich trotzdem zuversichtlich: „Wir hoffen auf eine Stabilisierung und den Beginn einer leichten Erholung im zweiten Halbjahr 2021.“