Kirchheim
Bilder eines anderen Lebens

Kinoerlebnis Michael Holz präsentiert den preisgekrönten Dokumentarfilm Schattenkind über den Fotografen Andreas Reiner im Stadtkino. Regie bei dem Film führte der Kirchheimer Jo Müller. Von Anja Schulenburg

Bescheiden kommt Jo Müller daher. Der Kirchheimer Regisseur, Autor und Journalist, der bereits Showbiz-Größen wie Roland Emmerich und Harald Schmidt porträtierte, bestellt sich eine heiße Zitrone und beginnt über die Arbeit an seinem aktuellen Film Schattenkind aus dem Nähkästchen zu plaudern: „Das A und O einer fruchtbaren Zusammenarbeit sind Vertrauen, Respekt und Disziplin. Während der Dreharbeiten zu Schattenkind konnte ich Andys sensible Arbeit mit Menschen, die sich in ihrer Verletzlichkeit vor dessen Kamera stellten, filmisch festhalten.“ Arbeitsschritte und Schicksale seien aufgenommen worden, die ihn tief berührten. Sein Team sei Zeuge einer besonderen Herangehensweise geworden, die Reiners Bilder, auch auf internationaler Ebene, einzigartig mache. „All das wäre ohne gegenseitigen Respekt und Vertrauen nicht möglich gewesen.“

Zwei Jahre begleitete Jo Müller den Fotografen Andreas Reiner bei seiner außergewöhnlichen Arbeit mit Menschen am Rande der Gesellschaft.

 

Ich war mir nicht sicher, ob das irgendjemand sehen möchte und ob ich dafür bereit bin.
Andreas Reiner
Der Fotograf über seine anfängliche Skepsis gegenüber dem Filmprojekt
 

Kennengelernt hatten sich die beiden Charakterköpfe während einer Auftragsreportage, die Müller für den SWR in Biberach drehte. Im Rahmen seiner Recherchen stieß er auf das Bild „gefaltete Hände“ des Fotografen.

„Wir trafen uns privat, tranken gemeinsam ein Bier, ich sah seine Bilder, und relativ schnell wurde mir klar: Über den Typ musst du was Größeres machen“, schmunzelt Müller. „Meine freien Arbeiten suche ich mir meist intuitiv. Also fragte ich ihn spontan, ob er Lust auf einen Kinofilm hätte.“

Reiner selbst gibt bescheiden zu, erst einmal skeptisch gewesen zu sein: „Ich war mir nicht sicher, ob das irgendjemand sehen möchte und ob ich dafür bereit bin.“

Also verabredeten sie sich zu einem außergewöhnlichen und emotional anspruchsvollen Dreh im Krematorium. Nach jenem Drehtag, der von beiden Seiten unglaublich würdevoll vonstattenging, war Regisseur und Protagonist klar, dass das Projekt stattfinden würde – auch ohne Fördermittel und namhaften Sender.

Während der Drehzeit entstanden bewegende Bilder und Szenen, mit denen jeder anders umging: „Ich habe Perspektivenwechsel vollzogen und mich in die Menschen hineinversetzt. Trotzdem kann ich mich meist durch meinen Monitor ein Stück weit distanzieren“, erklärt Jo Müller.

Andy Reiner hingegen hat seine eigene Strategie: „Manche Bilder lasse ich ein bis zwei Wochen ruhen, dann habe ich den nötigen emotionalen Abstand.“

In Deutschland ist ein Projekt dieser Größenordnung, ohne Fördergelder, fast unmöglich. Trotzdem investierten Reiner und Müller und wagten es gemeinsam.

Die Auszeichnung mit dem Hofer Filmpreis für den besten Dokumentarfilm sowie die Filmförderung, die den Film jetzt in die deutschen Kinos bringt, geben ihnen Recht, denn entstanden ist bei diesem Wagnis ein wunderbar ehrlicher, berührender Film von Jo Müller, über welchen Protagonist Andreas Reiner sagt: „Er hat mich total troffa. Eigentlich kann i jetzt sterba!“

 

Über den Film Schattenkind

Der Film begleitet Andreas Reiner bei seiner Arbeit und zeigt dessen Ansporn, seine Motivation auf. Hierbei spielt dessen eigene Geschichte eine zentrale Rolle und wird dadurch mitunter Teil des Films.

Reiners Vater stirbt, als er 15 Jahre alt ist, wenige Jahre später begeht seine Mutter Selbstmord. Sie hinterlässt ihm keinen Abschiedsbrief, dafür eine Jeans und 50 Mark. Sein Leben gerät komplett aus den Fugen. Er verliert seine Arbeit, sein Zuhause und begibt sich freiwillig in die Psychiatrie. Schließlich erfindet er sich neu – als Fotograf.

Musikalisch getragen wird der Film von indi­viduellen Eigenkompositionen des Pianisten Dirk Maassen

Gezeigt wird der Film am Freitag, 10. Februar, um 20.15 Uhr im Stadtkino in Kirchheim. Regisseur und Protagonist werden zugegen sein. Im Anschluss gibt es ein Filmgespräch. Karten gibt es nur an der Abendkasse. Ein Teil der Eintrittsgelder wird dem Tafelladen gespendet. as