Kirchheim
Bürgergeld: Schmutzkampagne oder sachliche Debatte?

Soziales Zwei diakonische Träger zeigen anhand von Praxisbeispielen, dass Arbeiten sich lohnt.

Janina Baaken ist Geschäftsführerin des diakonischen Vereins Heimstatt. Foto: pr

Kreis. "Arbeit lohnt nicht mehr!“ wird momentan landauf landab behauptet. CDU-Chef Friedrich Merz hat angekündigt, er werde das Bürgergeld unter seiner Kanzlerschaft wieder abschaffen. Ifo-Präsident Clemens Fuest prophezeite bei Maybrit Illner: Wenn man mehr für das Militär ausgeben müsse, dann bliebe eben weniger für anderes, der Sozialstaat müsse halt kleiner ausfallen. Künftig werde es „Kanonen ohne Butter“ geben.

„Es wird ein Stimmungsumschwung mit gezielten Falschmeldungen eingeleitet“, ärgert sich Janina Baaken, Geschäftsführerin des diakonischen Vereins Heimstatt, der sich um soziale Wohnraumhilfe kümmert. „Dabei werden Berechnungen vorgelegt, die schlichtweg falsch sind.“ Unterschlagen werde, dass Geringverdiener, die mit ihren Familien zusätzliches Bürgergeld zum Überleben brauchten, einen Freibetrag von 378 Euro von ihrem Lohn zusätzlich behalten dürften. Damit seien sie also um mindestens diesen Betrag gegenüber Nichtarbeitenden bessergestellt.

Weiter werde unterschlagen, dass Menschen in Arbeit das Kindergeld zusätzlich zum Lohn bekommen. Im Bürgergeld werde dieses abgezogen – bei zwei oder drei Kindern mache dies immerhin 500 oder 750 Euro im Monat aus. Zudem werde vergessen, dass Menschen mit Lohn im unteren bis mittleren Bereich häufig zusätzlich Wohngeld und Kinderzuschlag bekommen. Dies könnten durchaus vierstellige Beträge obendrauf sein.

Janina Baaken führt Beispiele aus der Praxis auf, die das verdeutlichen: Ein Alleinstehender mit Mindestlohn und Wohngeld hat im Monat 394 Euro mehr zur Verfügung als ohne Arbeit im Bürgergeld. Eine Alleinerziehende mit zwei Kindern, die 1177 Euro netto verdient, hat mit Wohngeld und Kinderzuschlag 588 Euro mehr als ohne Arbeit. Eine Familie mit drei Kindern und einem Einkommen von 1739 Euro netto erhält mit Wohngeld und Kinderzuschlag 928 Euro mehr als ohne Arbeit. Eine Familie mit drei Kindern und einem Nettoeinkommen von 2547 Euro hat mit Wohngeld und Kinderzuschlag 934 Euro mehr auf dem Konto als ohne Arbeit. Die detaillierten Berechnungen kann man auf der Homepage von Heimstatt nachlesen (www.heimstatt-esslingen.de/aktuell/).

Eberhard Haußmann, Geschäftsführer des Kreisdiakonieverbands im Landkreis Esslingen unterstützt seine Kollegin. „Das scheint eine seltsame Neiddebatte zu sein, um auf Stimmenfang zu gehen auf Kosten jener Menschen, die unsere Unterstützung brauchen und nicht durch solche pauschalen Zuweisungen gedemütigt werden sollten.“ Man müsse sich nur mal anschauen, wer alles Bürgergeld beziehe, regt er an. Dabei rechne das Bundesministerium für Arbeit und Soziales selbst vor: Von 5,5 Millionen Menschen im Bürgergeld seien 1,5 Millionen Kinder unter 15 Jahren. Etwa 1,6 Millionen Menschen stünden dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, weil sie zum Beispiel in Ausbildung beziehungsweise im Studium seien, Kinder erzögen, Angehörige pflegten oder kurzfristig arbeitsunfähig seien. Rund 0,8 Millionen Menschen seien erwerbstätig, verdienten jedoch zu wenig, um davon leben zu können. Deshalb bekämen sie „aufstockendes“ Bürgergeld. Zu dieser Gruppe zählten auch Menschen in einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme oder einem Integrationskurs für den Arbeitsmarkt. „Bleiben 1,6 Millionen Menschen, die tatsächlich erwerbsfähig und arbeitslos sind“, sagt Eberhard Haußmann. Auch diese Personengruppe sollte nicht pauschal verurteilt werden. Vielmehr müsse man die Menschen ansehen und diese gezielt fördern, qualifizieren und ihnen Beschäftigung anbieten. pm