Kirchheim
Bundesregierung: „Mülltaucher“ sollen es leichter haben

Justiz Wer Lebensmittel aus dem Müll von Supermärkten holt, kann strafrechtlich belangt werden. Die Bundesregierung will die Strafverfolgung lockern, doch löst es das Problem der Lebensmittelverschwendung? Händler sind skeptisch. Von Thomas Zapp

Die Mülltonnen ihres Geschäfts hält Sabine Ullrich sicher hinter Verschluss. „Im Sommer würden sonst die Viecher drangehen“, sagt die Geschäftsführerin des Kirchheimer Edeka-Marktes. Es geht aber nicht nur um Schädlinge. Denn dass sich dort Menschen bedienen, möchte sie schon gar nicht, und das aus einem ganz bestimmten Grund. „Wenn sich da jemand verdorbene Ware holt und im Krankenhaus landet, bin ich haftbar“, erklärt sie. 

Es gibt für sie also mehrere Argumente, dass so genannte „Containern“ – bei dem sich Menschen weggeworfene Ware von Supermärkten aus den Müllcontainern holen – zu verhindern.

 

Leuten zu ermöglichen, in Containern nach Lebensmitteln zu wühlen, kann nicht unsere Antwort sein.
Marion Gentges
Ministerin der Justiz und für Migration

 

Das ist zwar momentan in Deutschland ohnehin illegal, allerdings will die derzeitige Bundesregierung einen Vorschlag des Landes Hamburg aus dem Jahr 2021 aufgreifen, der eine Erleichterung für die auch „Mülltaucher“ genannten Lebensmittelsucher in den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren vorsieht. Demnach soll eine Anzeige nur noch bei Hausfriedensbruch folgen. Wer also auf der Suche nach noch genießbaren Lebensmitteln ein Tor aufhebelt und beschädigt, müsste weiterhin mit einer Strafe rechnen, bei frei zugänglichen Abfalltonnen bliebe er oder sie straffrei.  

Auf den ersten Blick erscheint es logisch, was Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) damit medienwirksam fordern: Wer Lebensmittel aus dem Müll holt, darf nicht kriminalisiert werden und soll keinen Ärger mit der Polizei bekommen. Das Ziel dahinter ist es, die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Laut Gutachten des Bundesministeriums könnten bei einer 50-prozentigen Reduzierung der Lebensmittelabfälle in privaten Haushalten sechs Millionen Tonnen CO2-Äquivalente an Treibhausgas-Emissionen in Deutschland eingespart werden. 

Kritik aus der SPD

Der Kirchheimer SPD-Landtagsabgeordneten Andreas Kenner hat das Thema aufgegriffen und fordert ebenfalls: „Dass unsere Tafeln nicht genügend Lebensmittel haben, oftmals junge Menschen dafür bestraft werden Lebensmittel zu retten und große Supermärkte weiterhin gute Lebensmittel wegschmeißen, das ist für mich eine Schieflage, die es schnellstens zu ändern gilt.“ Seine Kritik richtet sich dabei gegen die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges (CDU), die „weiterhin Menschen bestrafen (will), die noch genießbare Lebensmittel aus Abfallcontainern holen“, erklärt er in einer Pressemitteilung der SPD-Fraktion im Landtag. 

Das Ministerium von Marion Gentges erklärt dagegen die Position auf Anfrage des Teckboten und bezeichnet die Debatte um das Containern als „reine Augenwischerei“. Die Ministerin führt aus: „Tatsächlich gibt es doch kaum Container, aus denen man etwas herausnehmen kann, ohne zugleich einen strafbewehrten Hausfriedensbruch oder eine Sachbeschädigung zu begehen.“ Konkret gehe es darum, dass Bußgelder nur noch verhängt werden, wenn jemand etwa dabei erwischt wird, wie er ein Schloss aufbricht oder auf ein Grundstück eindringt, um an die Lebensmittel zu kommen. In allen anderen Fällen gebe es schon jetzt die Möglichkeit, ein Verfahren einzustellen, betont die Ministerin.

Mit dem aktuellen Vorschlag werde überhaupt kein Problem gelöst, führt die Ministerin weiter aus: „Leuten zu ermöglichen, in Containern nach Lebensmitteln zu wühlen, kann nicht unsere Antwort auf die drängenden Fragen der Lebensmittelverschwendung sein. Da braucht es ein umfassenderes Konzept. Eine Möglichkeit wäre es beispielsweise, dass Supermärkte breit angelegt mit sozialen Einrichtung zusammenarbeiten, um die in Frage kommenden Produkte gezielt weiter zu verteilen.“ 

So hält es zum Beispiel das Nachbarland Frankreich. Ein Vorbild für Deutschland? Wenn das verpflichtend für Supermärkte wäre, fände Einzelhändlerin Sabine Ullrich das völlig in Ordnung, denn genau das macht sie ohnehin schon freiwillig. „Einmal die Woche holen die Leute vom Food-Sharing Ware ab. Dann habe ich hier einen Bauern mit Tieren, der bekommt altes Gemüse und Backwaren von mir. Und wenn eine Gurke eine Druckstelle hat, nehme ich die selbst mit nach Hause.“

 

Elf Millionen Tonnen Lebensmittel landen im Abfall

In Deutschland fallen nach Angaben des Landwirtschaftsminis­teriums jährlich elf Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle an. Die Zählung berücksichtigt dabei die gesamte „Lebensmittelkette“ vom Erzeuger bis zum Verbraucher: In der Landwirtschaft und Viehzucht entstehen nach der Ernte oder der Schlachtung zwei Prozent, etwa durch Lagerung, Sortieren oder Verluste beim Transport. In der Verarbeitung fallen 15 Prozent der Abfälle an, zum Beispiel durch beschädigte Verpackungen.

Der Handel ist für etwa sieben Prozent der Lebensmittelabfälle verantwortlich, etwa wegen zu großer Bestellungen. In Restaurants, Kantinen oder Schnellimbissen fallen 17 Prozent an, wie durch nicht verzehrte Essensreste am Buffet.

Den größten Anteil an der Entstehung von Lebensmittelabfällen haben mit mehr als 50 Prozent die Privathaushalte. Das entspricht jährlich einer Menge von 78 Kilogramm pro Person, dabei werden allerdings auch natürliche Überschüsse mitgezählt, wie Obstschalen oder Gehäuse von Nüssen. Mit der bundesweiten Kampagne „Zu gut für die Tonne“ will das Ministerium diesem Trend entgegenwirken.  zap

 

Drei Fragen an: Sabine Hagmann, Geschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg

Wieviel landet in deutschen Supermärkten im Müll?

Von den Waren werden 1,5 Prozent abgeschrieben, davon gehen 90 Prozent an Tafeln oder andere Organisationen, lediglich zehn Prozent gehen in den Müll. Ist das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen, die Verpackung beschädigt oder handelt es sich um einen Rückruf, muss die Ware nach dem Gesetz entsorgt werden.

Finden Sie es richtig, das Containern straffrei zu lassen?

Wenn die Händlerinnen und Händler aus der Haftung für verdorbene Lebensmittel entlassen werden, dann ja. Wenn der Staat ihnen klar sagt, ihr dürft das abgeben, können die Händler die Ware auch vor den Laden stellen.

Ist das für Sie die beste Lösung, um Lebensmittel zu retten?

Effektiver wäre es unserer Ansicht nach, in bestimmten Produktgruppen wie Nudeln oder Reis das Mindesthaltbarkeitsdatum abzuschaffen. Dann kann man es auch besser an Tafeln spenden, bislang müssen dafür alle Waren mindestens zwei Tage MHD haben. zap