Kirchheim
Corona-Spaziergänge: „Die Gesprächsbereitschaft nimmt ab“

Proteste Während Menschen zunehmend auf die Straße gehen, hat die Polizei mit gestiegenen Einsatzzeiten und zunehmender Aggression zu kämpfen. Pöbler müssen aber mit Festnahmen rechnen. Von Thomas Zapp

Die pandemische Situation scheint sich zu entspannen, aber die Stimmung im Landkreis wird zunehmend gereizter. Das lässt sich auch den für gewöhnlich zurückhaltenden Antworten des Polizeipräsidiums Reutlingen entnehmen, das auch für den Landkreis Esslingen zuständig ist. „Wir müssen feststellen, dass die Gesprächsbereitschaft der Versammlungsteilnehmer abnimmt. Mitunter schlagen den Einsatzkräften verbale Aggressionen entgegen und die Teilnehmer gehen Kolleginnen und Kollegen ohne Vorwarnung beleidigend oder manchmal sogar tätlich an“, sagt der Reutlinger Polizeisprecher Michael Schlüssler auf Anfrage des Teckboten. Genauere Zahlen könne er jedoch noch nicht nennen, weil die Verfahren noch nicht alle abgeschlossen seien.

Bis zu 4500 Teilnehmer

Im Bereich des Präsidiums Reutlingen fanden in den letzten Wochen rund 40 kleinere und größere Versammlungen mit bis zu 4500 Teilnehmern wie in Reutlingen statt. Mehrere Hundert Beamtinnen und Beamte sind im Einsatz. Wenn sie beleidigt werden, können sie auch tätig werden, darauf weist der Polizeisprecher ausdrücklich hin, auch wenn sie nicht tätlich angegriffen werden. „Um eine Person ,festzunehmen‘ im Sinne von ,vorübergehend mit auf die Dienststelle nehmen zur weiteren Bearbeitung des Sachverhalts‘ muss kein tätlicher Angriff vorliegen“, betont Michael Schlüssler.

Dies könne bei jeder Straftat erforderlich sein, etwa um die Identität des Beschuldigten zweifelsfrei feststellen zu können. „Somit auch im Rahmen einer Beleidigung, wenn sich die Person, die man später bei der Staatsanwaltschaft zur Anzeige bringen wird, vor Ort nicht entsprechend ausweisen kann“, sagt der Sprecher.

Die Belastung seiner Kollegen bei diesen Einsätzen sei derzeit besonders hoch, unabhängig davon, wie aggressiv sie verlaufen. „Die aktuelle Einsatzfrequenz ist schon für sich gesehen eine zusätzliche Belastung – und eine große Herausforderung für die Polizei insgesamt, weil sich Versammlungsorte oder auch mögliche Teilnehmerzahl aufgrund der überwiegend fehlenden Anmeldung nur schwer prognostizieren lassen“, erklärt Michael Schlüssler das derzeitige Hauptproblem der Polizeibeamten. 

Wer bei diesen Spaziergängen exakt dabei ist, ob und inwiefern die Demonstrationen tatsächlich gekapert werden, kann auch der Polizeiexperte nur eingeschränkt sagen. „Die Zusammensetzung der Spaziergänge ist sehr heterogen“, betont er. Bei den Protestteilnehmerinnen und -teilnehmern reicht die Bandbreite vom „besorgten und kritischen Bürger“ bis zum „fanatischen Corona-Leugner“. Das ist auch für die Polizei unübersichtlich. „Anteile lassen sich da nicht bestimmen“, erklärt Michael Schlüssler.

Aber: Seit Beginn der Corona-Pandemie sei auch zu erkennen, dass extremistische Strömungen versuchen, die Corona-Demonstrationen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Schlüssler fügt hinzu: „Gleichzeitig tragen sie so zu einer weiteren Verbreitung der im Protestumfeld verstärkt kommunizierten, unterschiedlich ausgestalteten Verschwörungsideologien bei.“