Kirchheim

Daimler macht das schönste Geschenk

Umwelt Zum 40. Geburtstag der Schutzgebiete Wernauer Baggerseen und Neckarwiesen gibt es für Naturschützer eine gute Nachricht: Mercedes gibt 2020 die Teststrecke an den Neckarauen auf. Von Thomas Krytzner

Rund 170 Gänse leben ungestört am Baggersee im Naturschutzgebiet in Wernau. Zu sehen sind daher sie von blossem Auge kaum. Krytz
Rund 170 Gänse leben ungestört am Baggersee im Naturschutzgebiet in Wernau. Zu sehen sind daher sie von blossem Auge kaum. Krytzner

Der Naturschutzbund hat im Kreis Esslingen gleich zwei Mal Grund gehabt zu feiern: Zum einen wurden die Schutzgebiete „Wernauer Baggerseen“ und „Neckarwiesen“ vor 40 Jahren durch das Regierungspräsidium Stuttgart als Naturschutzgebiet sichergestellt und außerdem hat Daimler angekündigt, die Teststrecken für Autos und Lkw in den Gebieten „Neckaraue“ und „Wendlinger Wasen“ im Jahr 2020 aufzugeben. Somit kämen, wenn der Eigentümer mitmacht, zu den bestehenden 45 Hektar Schutzgebiet noch weitere 15 Hektar dazu.

Roland Appl, NABU-Beauftragter für Naturschutzgebiete, zeigt sich anlässlich des Jubiläums zufrieden: „Es ist nicht selbstverständlich, in einem dicht besiedelten Raum ein Naturschutzgebiet zu haben.“ In seinem Rückblick geht er auf den Vogelkundler Wulf Gatter ein. Dieser trug nämlich vor 40 Jahren mit seinen Veröffentlichungen dazu bei, dass die Baggerseen unter Naturschutz gestellt werden. „Damals zählte Gatter rund 200 Arten an Vögeln in diesem Gebiet.“ Im Lauf der Zeit haben sich die Arten verändert, wie Roland Appl betont: „Der Kiebitz ist fast ganz verschwunden, dafür sind andere Vogelarten dazugekommen. Der weiße Reiher, auch Seidenreiher genannt, ist eigentlich am Mittelmeer beheimatet.“

Verhungern müssen die Vögel nicht, noch gibt es genügend Insekten, aber auch Fische in den Baggerseen. Karpfen und Hechte teilen sich die Gewässer. Die damaligen Unterschriftensammlungen haben sich gelohnt, wie Appl erläutert: „Rund 15 000 Unterschriften wurden für den Naturschutz gesammelt, und später kamen nochmal 20 000 für die Verbesserungen in den Schutzgebieten dazu.“ Damit wurde erreicht, dass das Betonwerk vom Gelände verschwand. Auch die Hochspannungsleitungen bereiteten einige Sorgenfalten, denn die Kabel hingen zum Teil nur zehn Meter über dem Boden. „Eine Flugfalle für die Vögel.“ Doch die Netzbetreiber hatten ein Einsehen und hängten die Stromkabel höher, damit die Vögel gefahrlos untendurch fliegen konnten. Mit der Zeit ist es auch stiller geworden rund um die Seen. Waren früher die Baggerseen noch beliebte Ausflugsziele für Wassersportler, sind heute die Tiere im Schutzgebiet unter sich. Nur wenige Male wird die Ruhe gestört: Dann nämlich, wenn sich die Naturfreunde dort treffen, um die Schutzgebiete zu pflegen. „Etwa 45 Naturfreunde, darunter auch Firmlinge, beteiligen sich jedes Jahr im Januar oder Februar an der Reinigungsaktion“, sagt Roland Appl. Er erinnert sich an die erste Aktion: „Da entfernten die ehrenamtlichen Helfer rund 800 Autoreifen vom Gelände und im See lag ein Auto.“

Tierische Rasenmäher

Die Pflege der Weiden im Naturschutzgebiet übernehmen derzeit Schafe und Ziegen. Schäfer Markus Hornung aus Wernau lässt dann seine Tiere rund um die zehn Baggerseen weiden und diese leisten in mehrfacher Hinsicht ihren Beitrag zum Naturschutz. Einerseits lassen die blökenden und meckernden Rasenmäher viel Dorngebüsch stehen. „Ideal für den Neuntöter. Dieser Vogel liebt Dornenbüsche“, sagt Roland Appl. Außerdem seien Schilfgebiete förderungsfähig, betont der Nabu-Fachmann. Damit werden auch Brutplätze für diverse Arten geschaffen. „Nachtigall, Eisvogel oder Schwarzspecht haben im Naturschutzgebiet eine Heimat gefunden.“ Auch größere Vogelarten teilen sich Luft- und Lebensraum um die geschützten Baggerseen. „Wir zählten 15 Paare Reiher und rund 60 Brutpaare Kormorane sowie 170 Gänse.“

Bisher seien keine Konflikte mit den Fischen zu verzeichnen, sagte Roland Appl. Die Vereinigung des Erblehensees mit dem Neckar sei erfolgreich verlaufen, freut er sich: „Dabei wurde eine künstliche Insel geschaffen, und in diesem Gebiet zogen mittlerweile verschiedene Vogelarten und Biber ein.“

Für viel Kopfschütteln sorgte die Überflughilfe, die durch das Land Baden-Württemberg mit einem Wall geschaffen wurde. „Für die Katz“ sei das Bauwerk, so titelten damals auch die Medien. Ebenso waren die Welse im Baggersee ein Aufreger. Fischer haben in der Tat Welse gefangen. „Der größte war zwei Meter lang und wog 50 Kilo“, erinnert sich Roland Appl. Da die Naturschutzgebiete von Spaziergängern und Fahrradfahrern nur schlecht einsehbar sind, hat der NABU an mehreren Stellen Info-Tafeln aufgestellt, denn das Betreten der geschützten Gebiete ist nicht erlaubt.

So freuen sich Nachtigall und Co. demnächst über ein noch größeres Naturschutzgebiet, wenn Daimler die Testfahrten rund um die Baggerseen im nächsten Jahr einstellt und an andere Orte verlagert.

Naturschützer Roland Appl beim Beobachten der Brutpärchen. Fotos: Thomas Krytzner
Naturschützer Roland Appl beim Beobachten der Brutpärchen. Fotos: Thomas Krytzner

Drei Fragen an Roland Appl

Roland Appl, NABU-Beauftragter NatuschutzgebieteFoto: kry
Roland Appl, NABU-Beauftragter für die Natuschutzgebiete. Foto: kry

Was passiert genau, wenn Daimler die Testfahrten in Wernau einstellt?

Die Intensität der Tests durch Daimler hat schon jetzt abgenommen. Wenn der Automobilhersteller weg ist, lassen wir erst einmal Ruhe einkehren. Da dort eine der Teststrecken direkt am Ufer des Baggersees entlangläuft, könnte dort eine weitere Flachwasserzone entstehen. Wir wollen das Gebiet zudem für Spaziergänger zugänglich machen. So können die Vögel beobachtet werden, ohne in ihrer Ruhe gestört zu werden.

Was trägt das Naturschutzgebiet zum Erhalt der Tiere bei?

Auf den Feldern der Landwirtschaft wird ja kaum was Wildes geduldet. Hier im Naturschutzgebiet haben wir Weideland für Schafe und Ziegen. Es darf alles blühen und aussamen. Damit schaffen wir Lebensraum für Bienen und Insekten.

Was ist für die nächsten 40 Jahre geplant?

Wir wünschen uns eine Vernetzung der einzelnen Inseln, damit die Lebensräume verbunden sind. Hier müssen auch Bahn- und Straßenbau mitmachen. Zum Teil fließt der Neckar vom Wald her unterirdisch durch. Es wäre schön, wenn er ins Schutzgebiet kommt und damit weiterer, geschützter Raum für die Tiere geschaffen wird. kry