Kirchheim

Das Ende des „markanten Türmchens“

Gerberviertel Der Kirchheimer Gemeinderat bringt einen neuen Bebauungsplan auf den Weg, der in absehbarer Zeit zum Abriss des alten Mostgebäudes führen dürfte. Von Andreas Volz

Ein Bild, das schon bald der Vergangenheit angehören könnte: Das charakteristische Eckgebäude soll einem Neubau weichen.Foto: Ca
Ein Bild, das schon bald der Vergangenheit angehören könnte: Das charakteristische Eckgebäude soll einem Neubau weichen.Foto: Carsten Riedl

Ein altgewohnter Anblick in Kirchheim wird verschwinden: Das Most-Gebäude an der Ecke Alleen- / Schülestraße soll einem Neubau weichen. Der Gemeinderat hat deshalb einstimmig den Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan „Gerberviertel“ gefasst. Das Gebiet wird von vier Straßen eingerahmt: von der Alleenstraße im Osten, von der Schülestraße im Süden, von der Gerberstraße im Westen sowie von der Schlachthausstraße im Osten.

Der Vorteil des neuen Plans besteht darin, dass er keine komplette Bebauung des Areals mehr vorsieht, wie das nach aktuell gültiger Rechtslage noch möglich wäre. Künftig sollen nur noch auf dem äußeren Teil - zu den jeweiligen Straßen hin - Baublöcke möglich sein, während die Innenfläche frei bleiben soll. Dieser „Innenhof“ könnte sogar begrünt werden.

Die Traufhöhen orientieren sich an der Umgebungsbebauung. Sie sind dreigeschossig angedacht - mit zwei Ausnahmen: An der Ecke Schüle- / Alleenstraße ist ein vierstöckiger Bau möglich, der eine „Dominante“ darstellen soll, als „Pendant zum gegenüberliegenden Schloss“, wie es in der Sitzungsvorlage heißt. Entlang der Schlachthausstraße ist dagegen nur eine zweigeschossige Bebauung möglich, um dort den „Gassencharakter“ zu bewahren.

Genutzt werden sollen die Gebäude überwiegend zum Wohnen, entlang der Alleenstraße sind Geschäfte vorgeschrieben, was „für die Belebung des öffentlichen Raums“ sorgen soll. Auch fürs Parken der künftigen Anwohner ist eine passende Lösung vorgesehen: Auf dem Gelände kann eine Tiefgarage entstehen, für deren Einfahrt die bisherige „Dominante“ weichen müsste. Das alles dient im offiziellen Jargon „einer behutsamen Stadterneuerung, un­ter Einhaltung und Weiterentwicklung vorhandener Strukturen und Qualitäten“. Die „Neuordnung des Baublocks“ steht demnach sogar im öffentlichen Interesse. Allerdings scheinen nicht alle Eigentümer im Quartier dieselben Interessen zu verfolgen. Es gibt also nicht den einen großen Entwurf, der gleich das gesamte Areal im Sinn der neuen Planung verändert.

Auch im Gemeinderat wurde der neue Bebauungsplan ganz unterschiedlich gewertet: Der CDU-Fraktionsvorsitzende Dr. Thilo Rose wertete es als „kleinen Wermutstropfen, dass das Gebäude am Eck mit dem markanten Türmchen wohl nicht erhalten werden kann“. Hans-Peter Birkenmaier (Freie Wähler) dagegen sieht den Bebauungsplan als „Basis, um dieses Gebiet deutlich schöner als jetzt zu machen“.

Ähnlich empfindet es Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker: „Sicherlich wird sich die Gesamterscheinung des Viertels ändern. Aber sie verändert sich zum Vorteil.“ Auf die verschiedenen Formen von Giebel- und Traufständigkeit sowie auf die wechselnden Geschosshöhen des Planwerks bezogen, fügte sie noch hinzu: „Hier werden unterschiedlichste Formen der Gestaltung sichtbar werden.“

Offenbar geht es darum, eine klare architektonische und städtebauliche Kante zu zeigen. So zumindest geht es aus einem bemerkenswerten Satz der Sitzungsvorlage hervor: „Durch klare Kanten, vor allem an der Ecke Schülestraße / Alleenstraße, werden raumbildende Kanten geschaffen.“

Kommentar: Ein Hoch auf die Schnörkel

Kirchheim verwandelt sich: Das ist die gute Nachricht, wenn es um den neuen Bebauungsplan für das Gerberviertel geht. Aber die Medaille hat eine Kehrseite. Die weniger gute Nachricht lautet nämlich: Kirchheim verschandelt sich.

Es gehört zu den unauflösbaren Konflikten moderner Architektur, dass sie eine eigene Ästhetik propagiert, bei der es keinerlei Schnittmenge gibt mit der Ästhetik des „gewöhnlichen“ Innenstadtbesuchers, den die Stadt als (Tages)-Tourist so gerne anlocken möchte. Unter energetischen Gesichtspunkten sind kubische Gebäude sicher besser als Häuser mit Türmen, Erkern und Dachgauben. Wer sich aber als „normaler“ Mensch an einer Stadt und ihren markanten Gebäuden erfreuen will, bevorzugt Fachwerk, Schnörkel, Zierrat.

Natürlich präsentiert sich das Most-Gebäude, das jetzt zur Disposition steht, seit langer Zeit schon in einem deutlich heruntergekommenen Zustand. Eine sorgfältige und sachgerechte Sanierung rechnet sich deshalb wohl auch nicht - verglichen mit den Möglichkeiten, die ein Neubau an einer so zentralen Stelle der Stadt eröffnet.

Auch ist der Aussage eines Stadtrats durchaus zuzustimmen, dass das Gebiet schöner werden sollte. Andererseits aber hat das Gebiet vor allem das Problem des Heruntergekommenen - in jeder Hinsicht. Deshalb wird sich der Charakter des Gebiets nach Abriss und Neubau sicherlich zum Positiven verändern.

Was aber auf der Strecke bleiben wird, ist das Gebäude, denn die moderne Architektur hat eben keinen Sinn für die Türmchen-Ästhetik, die selbst dem heruntergekommenen Most- Gebäude noch einen beträchtlichen Charme verleiht. Und ohne einen solchen Charme gibt es keinen Touristen-Schwarm. Andreas Volz