Kirchheim

Das Gerät allein rettet kein Leben

Medizin Die Beatmung eines Patienten erfordert viel Fachwissen und hohe personelle und materielle Ressourcen. Ein Blick hinter die Kulissen des Kirchheimer Krankenhauses. Von Dietmar Slametschka

13 Covid-19-positive Patienten wurden bisher in Kirchheim beatmet, in den Alb-Fils-Kliniken in Göppingen, wo dieses Bild mit Obe
13 Covid-19-positive Patienten wurden bisher in Kirchheim beatmet, in den Alb-Fils-Kliniken in Göppingen, wo dieses Bild mit Oberarzt Dr. Hans Roth entstanden ist, waren es 20. Das kleine Foto zeigt einen „Infusionsbaum“.Fotos: Giacinto Carlucci und Dietmar Slametschka

Eine Lungenentzündung. Ein Herzinfarkt. Eine schwere Erkrankung mit dem Coronavirus oder dem Influenzavirus. - Es gibt zahlreiche Erkrankungen, bei denen die Luft immer knapper wird und eine Therapie über Sauerstoffbrille nicht mehr ausreicht. Dann muss eine künstliche Beatmung erfolgen.

Was heißt das eigentlich? Welche Anforderungen an Therapie und Pflege werden gestellt? Wenn in Film oder Fernsehen Szenen mit beatmeten Patienten zu sehen sind, wirkt dies meist wenig dramatisch. Aus dem Mund kommt der Tubus (Beatmungsschlauch), irgendwo piepst ein Monitor und irgendwo hängt noch eine Infusion. Ist die Erkrankung überstanden, wacht der Patient auf, als wenn nichts gewesen wäre. - Die Realität sieht anders aus.

Für die Beatmung wird ein Tubus in die Luftröhre eingeführt und an diesen das Beatmungsgerät angeschlossen. Es presst die Luft mit Überdruck in den Brustkorb, etliche Parameter wie die Form der Beatmung, der Druck, die Konzentration des Luftgemisches und die Atemfrequenz müssen individuell eingestellt und ständig angepasst werden. Da dies für den Patienten sehr belastend ist, wird er ins künstliche Koma versetzt.

Schläuche und Sonden kommen zum Einsatz: In eine große Vene, meist die obere Hohlvene, wird ein zentraler Venenkatheter mit mehreren Zugangsleitungen eingeführt. Medikamente zur Unterstützung des Kreislaufes, Aufrechterhaltung des Komas, Regulation des Blutzuckers, Unterstützung der Niere oder auch Antibiotika werden darüber gegeben. Häufig sind über zehn Medikamente nötig, um die Körperfunktionen aufrecht zu erhalten.

Fast alle Medikamente werden über Spritzenpumpen in exakter Dosis verabreicht. Ein kritisch kranker Mensch benötigt viel Energie. Deshalb ist die Ernährung sehr wichtig. Kohlenhydrate, Eiweiß, Fett, Vitamine und Spurenelemente kommen über den Venenkatheter. Zusätzlich versorgt eine Magensonde den Patienten mit Flüssignahrung. Diese soll bei einer langen Beatmung die Ernährung über das Blut ablösen. Eine arterielle Kanüle am Handgelenk dient dazu, den Blutdruck zu messen, zudem können so täglich mehrfach Blutkontrollen abgenommen werden. Weiter benötigt der Patient einen Blasenkatheter mit Temperatursonde. So kann die Körpertemperatur erfasst und die Urinmenge bestimmt werden.

Alle Werte werden auf einem Monitor erfasst. Abweichungen lösen Alarm aus. Zudem werden alle Werte in der elektronischen Kurve gespeichert. Die Flüssigkeitsbilanz wird genau berechnet. Alle Körperfunktionen des Erkrankten muss das Pflegepersonal übernehmen. Da ist die tägliche Grundpflege wie Waschen, Hautpflege, Absaugen von Schleim. In zwei- bis dreistündlichen Abständen muss der Patient umgelagert werden. - 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche.

Dominik Richter, stellvertretende Stationsleitung auf der Intensivstation der Medius-Klinik Kirchheim, betont den hohen Zeitaufwand: „Die Versorgung eines beatmeten Patienten fordert zu 100 Prozent konzentriertes Arbeiten und lässt keinen Platz für Fehler. Um dies zu gewährleisten, ist es oft nicht möglich, mehr als ein bis zwei dieser Erkrankten zu versorgen.“ Damit die Gelenke nicht versteifen, bewegt ein Physiotherapeut alle passiv durch. Wenn die akute Erkrankung überwunden ist, beginnt der lange Weg zurück ins Leben. Tabea Lesch, Fachkrankenschwester für Intensivpflege, beschreibt dies so: „Entwöhnung wird der Prozess genannt, in dem der Patient von der maschinellen Beatmung dahin geführt wird, wieder selbstständig zu atmen.“

Das künstliche Koma wird reduziert, die Atemmuskulatur muss wieder trainiert werden. Hierzu wird ein Beatmungsmodus gewählt, in dem der Patient selbständig atmet und das Gerät nur noch unterstützt. - Eine mitunter belastende Phase für den Patienten. Am Ende wird der Tubus herausgezogen, und der Patient muss selbständig atmen. Nicht immer gelingt dies gleich. Im Laufe einer Langzeitbeatmung verliert man viele Fähigkeiten: Sprechen, Essen, Bewegungen werden mit Hilfe verschiedener Berufsgruppen wieder geübt.

Wenn alles optimal läuft, ist der Patient geheilt. Nicht selten bleiben Schäden oder Pflegebedürftigkeit zurück, insbesondere bei Älteren. Ihre Kraft reicht häufig nicht für den langen Weg, den eine Beatmung bedeutet.

 

Der Autor arbeitet seit über 20 Jahren als Krankenpfleger bei den Medius-Kliniken in Kirchheim. Seit 2015 ist er auf der Intensivstation und hat umfangreiche Erfahrung mit Beatmung gesammelt. Hochbetagten rät er, in einer Patientenverfügung festzulegen, wie weit die Therapie im Fall der Fälle ausgedehnt werden soll.

Ein Infusionsbaum. Foto: Slametschka

Auf das Team kommt es an

Eine erfolgreiche Beatmung gelingt nur, wenn alle Mitglieder des therapeutischen Teams am selben Strang ziehen. Johannes Gommel ist Stationsleiter der Intensivstation der Medius-Klinik Kirchheim. Er beschreibt die Bedeutung des Teams so: „Die pflegerische und medizinische Versorgung von Patienten mit schweren Erkrankungen kann nur im Team sinnvoll geschehen. Dies ist umso wichtiger in Zeiten wie diesen, in denen von Bettenplätzen, Intensivbetten, Beatmungsgeräten geredet wird, die einfach so verdoppelt werden sollen.“ Jedem, der einmal auf einer Intensivstation gearbeitet habe, sei klar, dass die Versorgung von schwerstkranken Menschen nur im Team gelingen könne. „Die effektive Zusammenarbeit von verschiedenen Berufsgruppen wie etwa Ärzten, Pflegekräften, Physiotherapeuten und Logopäden macht eine erfolgreiche Behandlung überhaupt erst möglich“, davon ist Johannes Gommel zutiefst überzeugt.ds