Kirchheim

Das Leben ist eine einzige Qual

Kultur Christian Fries macht im Kirchheimer Kornhaus Thomas Bernhards Roman „Der Untergeher“ lebendig.

Kirchheim. Das ist eine klassische Erzählsituation: Ein Mann sitzt auf einem Stuhl und erzählt seinem Publikum eine Geschichte, die ihn so umtreibt, dass Gestik und Mimik, Arme und Beine miterzählen. So geschehen am Samstagabend im Kornhaus, wo auf Einladung des Kulturrings Christian Fries aus Thomas Bernhards Roman „Der Untergeher“ las - nein, Fries schlüpfte in die Figur des Ich-Erzählers im Roman.

Im 1983 erschienenen Werk des österreichischen Autors gibt es eigentlich gar keine Handlung. Der namenlose Ich-Erzähler betritt nach der Beerdigung seines Freundes Wertheim nach vielen Jahren das Gasthaus, in dem sie sich oft getroffen haben. Der Großteil des Romans sind Erinnerungen und Reflexionen. Da erfährt man, dass die Pianisten Wertheim, Glenn Gould, der später eine Weltkarriere hinlegte, und der Ich-Erzähler an einem Sommerkurs des legendären Vladimir Horovitz am Mozarteum in Salzburg teilnehmen. Wertheim und der Ich-Erzähler sind hochbegabt und können auf eine Solistenkarriere hoffen. Nachdem aber Glenn Gould Bachs Goldbergvariationen vorgespielt hat, brechen die beiden Freunde ihre „Beziehung“ zum Klavier ab, da sie den Grad der Vollkommenheit Goulds nie erreichen würden. Jahre später erhängt sich Wertheim, der Ich-Erzähler zieht sich nach Madrid zurück.

Kunst ist keine Rettung

Bernhard lässt seinen Ich-Erzähler immer wieder auf die gleichen Themen kommen: den Selbstmord Wertheims, den Abschied vom Klavier, das hoffnungslose Schicksal eines „Untergehers“. Hineingeflochten: der von Bernhard gewohnte Schmäh auf das Leben überhaupt. Es ist sinnlos, schon die Frage nach dem Sinn ist sinnlos. Auch die Kunst ist keine Rettung.

Der Roman eignet sich ausgezeichnet für eine „Lesung“. Beim erfahrenen Theatermann Christian Fries kommt noch eine persönliche Nähe dazu. Schon in frühen Jahren hat Fries die Texte Bernhards verschlungen und als Wiener Burgschauspieler österreichische Lebensart kennengelernt. Dazu: Als ausgebildeter Pianist liegt ihm das Thema sehr nahe. Sinnvollerweise saß er im Kornhaus neben dem Flügel, der aber, so will es schließlich der Roman, still blieb.

Die Virtuosität von Christian Fries hielt das Publikum zwei Stunden lang in Bann. Als der Romanerzähler ganz zum Schluss die Aufnahme von Goulds Goldbergvariationen auf den Plattenteller legt, imitiert Fries nur noch eine kratzende Platte: Ist auch geniale Kunst nichtig? Immerhin hat der Büchnerpreisträger Bernhard mit seinem Roman ein sprachliches Kunstwerk hinterlassen.Ulrich Staehle