Kirchheim
Das „PauLe“ mitten in Kirchheim ist gelebte Inklusion

Hilfe „PauLe“ heißt das Zentrum für Familie und Selbsthilfe der Lebenshilfe Kirchheim. Es ist für Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen konzipiert – und offen für alle, die vorbeischauen wollen. Von Iris Häfner

Ungezwungen geht es in den hellen Räumen im „PauLe“ zu. Bärbel Kehl-Maurer, Vorsitzende der Lebenshilfe Kirchheim, muss kurz warten, bis die Gespräche verstummen. Dann kann die offizielle Einweihung der Einrichtung starten. Viele konnten den Baufortschritt über Monate beobachten, denn das Haus, das sich der gelebten Inklusion verschrieben hat, steht an markanter Stelle in Kirchheim: nahe der Kreuzung Henrietten-/Kolbstraße. Die Adresse lautet jedoch Paul-Schempp-Weg 8, weshalb die Namensfindung für das Zentrum für Familie und Selbsthilfe der Lebenshilfe Kirchheim von und für Menschen mit Behinderung und ihren Angehörigen schnell gefunden war – sie vereint den Straßennamen mit der Lebenshilfe, eben „PauLe“. 

„Wir sind hier mitten im Leben und nicht am Rand der Gesellschaft“, sagt Bärbel Kehl-Maurer stolz und zitiert keinen geringeren als Martin Luther King. „I have a dream – ich habe einen Traum.“ Der wurde nicht nur für sie Wirklichkeit, sondern für all jene, die in dem Haus ein und aus gehen und teilweise auch dort wohnen. „Gleiches Recht für alle Menschen, egal welche Hautfarbe sie haben, ob mit oder ohne eine Behinderung. Hier ist das Zentrum für alle Menschen und alle Familien“, erklärt Bärbel Kehl-Maurer. Bewusst wurde der 5. Mai gewählt, es ist der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. „Im Grundgesetz ist die Gleichstellung zwar verankert, die Lebenswirklichkeit sieht jedoch anders aus. Schritt für Schritt wollen wir die Diskrepanz überwinden“, so die Vorsitzende.

Dazu soll das offene Haus mit seinen unterschiedlichen Treffpunkten für alle beitragen. Niemand soll mit seinen Ängsten und Unsicherheiten allein gelassen werden. „Das fängt schon mit Eltern an, die während der Schwangerschaft erfahren, dass sie ein behindertes Kind bekommen“, sagt Bärbel Kehl-Maurer. Austausch sämtlicher Beteiligten soll hier stattfinden. „Wir wollen kompetente Hilfe in angenehmer Atmosphäre anbieten – ohne Kos­ten und lange Terminabsprache“, erklärt sie weiter. Im Januar wurde die Sprechstunde eingerichtet. Hier sind alle Frage erlaubt, es gibt kein Tabu. „Wir hören uns die Sorgen an. Es hat schon eine Großmutter angerufen, deren Enkelkind eine seltene Krankheit hat“, erzählt Sozialpädagogin Katrin Dalmann. Beratung gibt es zum Pflegegrad, Behindertenausweis und Fördergelder, aber auch, welche Angebote und Veranstaltungen es im „PauLe“ gibt.

 

Es ist ein geschützter Ort, in dem alle Platz finden – es ist ein Mutmachort.
Oberbürgermeister Pascal Bader über „PauLe“

 

Als Schirmherr konnte Oberbürgermeister Pascal Bader gewonnen werden. „Die Einrichtung ist schon fester Bestandteil des neuen Quartiers geworden“, freut er sich. Wertvolle Arbeit werde im „PauLe“ geleistet. „Es ist was Einzigartiges geworden. Hier, in diesem offenen Haus, werden Menschen unterstützt. Es werden alltägliche Themen aufgegriffen für Eltern, Geschwister und andere. Hier finden alle Unterstützung und ein Zuhause. Es ist ein geschützter Ort, in dem alle Platz finden – es ist ein Mutmachort“, sagt Pascal Bader.

Ben Ribar ist Vater eines Sohns mit Behinderung. „Bevor wir hierher gekommen sind, haben sich meine Frau und ich alleine und verlassen gefühlt. Wir wussten nicht mehr, wie es weitergehen soll. Hier verstehen uns alle“, sagt er und erzählt von dem Tag, als er zum ersten Mal seinen Sohn in die Samstagsbetreuung gab. „Meine Frau sagte: Lass uns was ganz Verrücktes machen: Wir gehen in die Stadt und genießen einen Kaffee.“ Nach langer Dunkelheit sei es plötzlich Licht geworden. „Wir sind hier so warmherzig aufgenommen worden“, schwärmt er.

Anita Erdmann und Markus Grözinger sind Mitglieder des Lebenshilfe-Beirats und Bewohner im „PauLe“. Beide schätzen die Nähe zur Innenstadt, schnell ist man am Bahnhof oder im Nanz-Center und damit mitten unter den Menschen. Sie fühlen sich ausgesprochen wohl im neuen Haus und nehmen gerne die Angebote wahr, sei es Sport oder Spiel, eine Online-Schulung oder ein Erste-Hilfe-Kurs.

„Familien sind der Kern unserer Gesellschaft. Es ist deshalb ganz wichtig, dass alle gleichgestellt sind, egal, ob sie ein Kind mit oder ohne Behinderung haben“, erklärt Katharina Kiewel, Sozialdezernentin des Landkreises Esslingen. In Deutschland sei da leider noch genügend Luft nach oben.

„Unser Kleiner war im Kindergarten in der Ecke, hier blüht er richtig auf. Für uns als Familie ist es eine Wohltat, hier sein und andere Familien kennenlernen zu können, die den gleichen Weg bestreiten. Ich wünsche mir, dass hier viele weitere Familien Hoffnung bekommen – und das Licht im Dunkeln finden“, sagt Ben Ribar.