Kirchheim

Dauerstreit um 21 Millionen

Flüchtlingskosten Dem Landkreis fehlt noch immer ein Batzen Geld, das die Landesregierung für die vorläufige Unterbringung erstatten müsste. Einigen im Kreistag reißt jetzt der Geduldsfaden. 
Von Bernd Köble

Die Zuwanderungszahlen steigen wieder. Spätestens im Januar, so schätzt man im Landratsamt, gibt es im Kreis keine Plätze mehr. Derzeit wird fieberhaft nach Mietobjekten in den Kommunen gesucht.  Symbolbild

Am Donnerstag hat der Kreistag einem Haushalt mit Rekordergebnis zugestimmt. Die gute Finanzlage wäre noch besser, hätte der Landkreis in der Kasse, was ihm eigentlich zusteht. Der Streit um 21 Millionen Euro für die vorläufige Unterbringung von Flüchtlingen, die das Land dem Kreis schuldet, ist seit Jahren Begleitmusik in den politischen Gremien. Die Forderungen stammen aus den Jahren 2018 und 2019, in denen der Landkreis unter anderem Miet- und Grundstückskosten für Sammelunterkünfte vorfinanziert hat.
 

„Wenn ich ein Problem habe,
greife ich zum Hörer.
Andreas Schwarz
Der Grünen-Fraktionschef rät dem Landrat zum direkten Draht ins ­Ministerium.
 

Einigen Kreisräten reißt jetzt der Geduldsfaden. Mit einer am Donnerstag beschlossenen Resolution soll Druck auf die Landesregierung gemacht werden, die Summe im kommenden Jahr vollständig zu erstatten. Gleichzeitig hat der Kreistag den Landrat ermächtigt, vor dem Hintergrund stark steigender Flüchtlingszahlen und fehlender Quartiere Gespräche mit den zuständigen Ministerien zu forcieren. Dass die CDU als Teil der Landesregierung den Ball jetzt ins Spiel brachte, hatte zuvor für Häme seitens der SPD gesorgt. Man sei sich des Konflikts sehr wohl bewusst, begründete CDU-Fraktionschef Sieghart Friz den Antrag. Als Kreistagsfraktion fühle man sich jedoch in ers­ter Linie dem Wohle des Landkreises verpflichtet. Die Kreistags-Grünen schlossen sich dem Appell nicht an. Ein solcher führe zu nichts, bekräftigte Fraktionssprecher Rainer Moritz. Die Zusage des Landes gelte. 

Die Kritik richtet sich vor allem an die Adresse des grünen Minis­terpräsidenten Winfried Kretschmann, der bei den Landkreisen im Wort steht. Zuständig ist jedoch das CDU-geführte Justizministerium, das im Frühjahr gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden über eine neue Form der Kostenerstattung beraten will. Im Esslinger Landratsamt fürchtet man eine Abkehr von der seit 2015 praktizierten Spitzabrechnung der realen Kosten und die Wiedereinführung von Pauschalen. Die würde den Landkreis hart treffen, weil hier die Preise für Grund und Mieten deutlich höher liegen als im ländlichen Raum. Die vorläufige Unterbringung der Geflüchteten sei eine staatliche Aufgabe, macht der Esslinger Landrat Heinz Eininger deutlich. „Alles andere als eine sachgerechte Kostenerstattung ist für uns daher nicht tragbar.“ Die Kreise bräuchten mehr Planbarkeit. Eininger fordert zudem ein „atmendes System“ zwischen den einzelnen Stufen der Unterbringung. Das heißt zwischen der Erstaufnahme durch das Land, der vorläufigen Unterbringung in den Landkreisen und der Anschlussunterbringung, für die die Kommunen zuständig sind.

Resolution der falsche Weg

„Eine Resolution löst kein Problem“, meint hingegen Andreas Schwarz, Fraktionschef der Grünen in der Landesregierung. „Es schafft nur zusätzliche Büro­kratie.“ Dem Esslinger ­Landrat empfiehlt er, sich direkt ans Justizminis­terium zu wenden. „Wenn ich ein Problem habe, greife ich zum Hörer“, sagt Schwarz, der die genauen Gründe für den Zahlungsverzug, wie er sagt, nicht kennt. Sie seien auf jeden Fall nicht politisch motiviert. Im Gegenteil: Die Landesregierung habe die Zuweisungen an die Kommunen zuletzt um sechs Milliarden Euro erhöht. Schwarz: „Unsere Zusage gilt, ohne Wenn und Aber.“

Der Grünen-Politiker aus Kirchheim, der selber 15 Jahre lang im Kreistag saß, kennt das Problem von beiden Seiten. Eine Rückkehr zur ursprünglichen Pauschalabrechnung, wie sie der Landkreis fürchtet, sieht Schwarz nicht. Die erheblichen Unterschiede zwischen den Landkreisen bei den Liegenschaftskosten müssten auch künftig berücksichtigt werden. Den Anstoß zur Reformdebatte hatte der Landesrechnungshof gegeben. Von dort kam die Kritik, das Land bezahle durch die aufwändige Spitzabrechnung unterm Strich zu viel. „Diese Kritik müssen wir aus Verantwortung für die Steuerzahler ernst nehmen“, sagt Andreas Schwarz. In den Gesprächen einer vom Justizministerium einberufenen Arbeitsgruppe, zu der auch der Landkreistag gehört, gehe es um ein modifiziertes Modell, das weiterhin eine „differenzierte Betrachtung“ der jeweiligen Verhältnisse in den Landkreisen berücksichtigen müsse.