Kirchheim

Der Geburtsort der Demokratie in Kirchheim

Historie Heute ist die „Linde“ als Mehrgenerationenhaus bekannt. Mitte des 19. Jahrhunderts jedoch galt das damalige „Museum“ als Kern der örtlichen Politik. Von Eberhard Sieber

Ein politisches Statement hatte in der Kirchheimer Linde schon immer großes Gewicht - so wie im oberen Bild die musikalische Ver
Ein politisches Statement hatte in der Kirchheimer Linde schon immer großes Gewicht - so wie die musikalische Veranstaltung „Rock gegen Rechts“ aus dem Jahr 1993. Archiv-Foto: Ottmar Wittmann

In vielen Städten haben Bürger im 19. Jahrhundert einen Verein mit der Absicht gegründet, nicht nur Geselligkeit, sondern auch Unterhaltung und Bildung zu fördern. Auch in Kirchheim wurde aus diesem Grund 1838 ein Verein gegründet - das „Museum“. Anders als ein modernes Museum, das der Sammlung, Bewahrung und Ausstellung von Gegenständen dient, unterhielt das Kirchheimer Museum eine Art Gaststätte, einen Versammlungssaal und eine Bücherei.

Bereits 1840 trennte sich ein eher liberal ausgerichteter Teil vom Museum ab und nannte sich „Bürgermuseum“, dessen Vorsitzender Seifensieder Friedrich Tritschler wurde. Am 24. August 1838 verkaufte Lindenwirt Johann Georg Rupp sein Anwesen zu gleichen Teilen an die Bäcker Karl Notz, Caspar Heilemann und Christian Lederer. Die dort befindliche Brauerei nannten sie „Gesellschaftsbrauerei“. Der Name „Linde“ wurde für einige Jahre verdrängt durch die Bezeichnung „Gesellschaftsbrauerei“, sowie im öffentlichen Leben durch das „Museum“.

Politisches Zentrum der Stadt

Der Name „Linde“ taucht erst wieder auf, als ein Owener Kronenwirt im „Amts- und Intelligenzblatt“, dem Vorgänger des „Teckboten“, im April 1854 anzeigte, er habe das „Gasthaus zur Linde (Bürgermuseum)“ übernommen. Demnach bestand kein Zweifel: Bürgermuseum und Linde sind identisch. Zwei Jahre lang war das Bürgermuseum die Zentrale der bürgerlichen 48er-Bewegung. Als im März 1848 der revolutionäre Funke aus Paris nach Deutschland übersprang, richteten 350 Kirchheimer Bürger in einer Versammlung im Rathaus eine Petition an den Landtag. Wortführer der Kirchheimer Bürger war Friedrich Tritschler. Er war auch Hauptredner bei der ersten Kirchheimer Volksversammlung im Hof der Kaserne und im Bürgermuseum bei dem Beschluss, die erste parteiähnliche Vereinigung in Kirchheim zu gründen.

Das Bürgermuseum diente als politisches Zentrum der Kirchheimer Demokratiebewegung. Tritschler war Vorsitzender des Bürgermuseums und Vorsitzender des Volksvereins. Im Museum wurde nicht nur der erste Kirchheimer Turnverein gegründet, sondern auch am 18. Juni 1849 eine Bürgerversammlung veranstaltet, als die Nachricht von der Sprengung der Nationalversammlung durch württembergisches Militär in Kirchheim eintraf. Es bildete sich ein Sicherheitsausschuss, der die vollziehende Gewalt in der Stadt übernahm. Tritschler zog mit 94 Wehrmännern bewaffnet aus der Stadt. Als der erwartete Zuzug in Weilheim und Wiesensteig ausblieb, kehrte die Truppe unter Hochrufen der Bevölkerung nach Kirchheim zurück.

Klage gegen Tritschler

Auch nach dem Ende der gesamtdeutschen Bewegung resignierten die demokratisch Gesinnten keineswegs. Sie richteten ihre Aktivität auf das Königreich Württemberg und in der ersten nach allgemeinem Wahlrecht abgehaltenen württembergischen Landtagswahl wählten die Kirchheimer mit großer Mehrheit Friedrich Tritschler zu ihrem Abgeordneten.

Der König löste das widerborstige Parlament kurzerhand auf, bei Neuwahlen ging erneut Tritschler als Sieger im Oberamt Kirchheim hervor. Doch die Krone schlug mit strafrechtlichen Mitteln zurück: Tritschler wurde angeklagt und er und seine Gesinnungsgenossen zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Er wanderte nach Amerika aus und versuchte, eine neue Existenz aufzubauen. Vergebens: Tritschler starb 1859 mit 49 Jahren.

Auch für das Bürgermuseum bedeutete die Unterdrückung der 48er-Bewegung das Ende als politischer Versammlungsort. Im Januar 1852 versuchte Vorstand Stadtpfleger Fink das Bürgermuseum als Ort der bürgerlichen Geselligkeit neu zu beleben. Er musste sich allerdings den reaktionären Strömungen stellen, die inzwischen in der Stadt die Oberhand hatten.

Von diesem Moment an sollte es Jahrzehnte dauern, bis wieder politische Diskussionen möglich wurden.

Jugendhaus Linde_25 Jahre
Zum 25-jährigen Bestehen des damaligen Jugendhauses im Jahr 1995 schmückte die Linde ein Plakat. Archiv-Foto: Jean-Luc Jacques