Kirchheim
Der Hetze entschieden entgegentreten

Austausch Keine Chance dem Rassismus: Bei einer Podiumsdiskussion ging es darum, wie Kommunen das friedliche Zusammenleben ukrainisch- und russischsprachiger Einwohner fördern können. Von Bianca Lütz-Holoch

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine stellt auch die Städte und Gemeinden in der Region vor neue Herausforderungen. Sie müssen nicht nur etliche Menschen unterbringen, die aus den Kriegsgebieten geflohen sind. Eine mindestens genauso wichtige Aufgabe ist es, ein friedliches Zusammenleben vor Ort sicherzustellen, Hass und Anfeindungen vorzubeugen und entschieden gegen Rassismus vorzugehen. Wie das gelingen kann, darum ging es bei einer virtuellen Podiumsdiskussion, die im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus in Kirchheim stattfand.

 

An den Ereignissen in der Ukraine tragen die Menschen in Göppingen und Kirchheim keine Schuld.
Alexander Maier
Oberbürgermeister von Göppingen
 

Teilnehmer waren die Oberbürgermeister von Kirchheim und Göppingen, Pascal Bader und Alexander Maier, der Honorarkonsul der Repubilk Ukraine in Stuttgart, Willi Prettl, sowie Valentina Berg vom „Deutsch-Russischen Kunst- und Kulturvereins Kolobok“ und Kseniya Fuchs vom „Ukrainischen Atelier für Kultur und Sport“ in Stuttgart. Der Kirchheimer Integrationsbeauftragte Ali-Babak Rafipoor moderierte die Veranstaltung.

Klar wurde, dass Anfeindungen und Hass gegenüber russisch- und ukrainischsprachigen Menschen in Deutschland längst zum Alltag gehören. Durch die Medien gegangen sind Fälle, in denen Restaurants keine russischen Gäste mehr dulden oder Ärzte keine russischstämmigen Patienten mehr behandeln. „Und das ist nur die Spitze des Eisbergs“, sagte Honorarkonsul Willi Prettl: „Ich bekomme täglich E-Mails und Briefe von russischen Eltern, deren Kinder weinend aus der Schule kommen, weil sie gemobbt werden“, – und zwar nicht nur von Mitschülern, sondern auch von Lehrern. Und so sehr er sich auch für die Ukraine einsetzt, ist für ihn klar: „Ich wehre mich dagegen, dass wir gegen russische Menschen hetzen.“

Aber auch Ukrainer sehen sich Aggressionen ausgesetzt, wie Kseniya Fuchs betonte. „Mein Tag fängt mit zehn oder 20 Drohungen an“, berichtete sei. Die meisten seien online und anonym. Eine Freundin sei in Göppingen von Russen angegriffen worden, eine andere habe menschliche Exkremente in ihrem Briefkasten gefunden. „Wir haben Angst“, machte sie klar.

Bei den Schulen ansetzen

Angesichts dieser Schilderungen stand für alle Teilnehmer fest: Es ist wichtig, gegen Rassismus vorgehen – egal von welcher Seite. „Wir müssen bei den Schulen ansetzen und dort Aufklärungsarbeit leisten“, legte Willi Prettl sein großes Anliegen dar. Das griff Kirchheims Oberbürgermeister Pascal Bader nur zu gerne auf. Er will sich gemeinsam mit seinem Amtskollegen Alexander Maier an das Kultusministerium wenden und bitten, das Projekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, an dem schon mehrere Schulen in und um Kirchheim teilnehmen, im ganzen Land zu unterstützen.

„Stadtoberhäupter und Gemeinderäte müssen sich ganz klar gegen rassistische Tendenzen positionieren“, betonte Pascal Bader. Neben Hotline, Krisenstab und Wohnraum hält er interkulturelle Veranstaltungen wie Sommerfeste in der Stadt für wichtig. „Wir müssen Transparenz schaffen, informieren und offen sein“.

Aus Sicht von Göppingens OB Alexander Maier ist es entscheidend, Menschen aus anderen Kulturen und Religionen aktiv zu integrieren. In Göppingen habe die Politik da in der Vergangenheit versagt. „Es hat eine Ghettoisierung russischsprachiger Menschen stattgefunden“, berichtete er und stellte mit Blick auf dadurch entstandene soziale Brennpunkte klar: „Das ist der falsche Weg.“ Einen wichtigen Beitrag können aus seiner Sicht interkulturelle Vereine leisten, die als Multplikatoren dienen und immer wieder betonen: „An den Ereignissen in der Ukraine tragen die Menschen in Göppingen und Kirchheim keine Schuld.“

Sich auf Augenhöhe begegnen

Von Erfolgen in dieser Hinsicht konnte Valentina Berg berichten. Sie  kommt aus der Ukraine und ist Vorsitzende des seit über 20 Jahren bestehenden Stuttgarter Vereins Kolobok. „Wir pflegen die Traditionen von russisch sprechenden Menschen – unabhängig von Nationalität, Alter oder Beruf.“ Vor allem aber sorgen sie für ein Miteinander. „Wir fangen bei den Kindern an und bringen sie auf Augenhöhe zusammen – russisch- und ukrainischsprachig.“

Auch weitere konkrete Ideen, wie Kommunen helfen können, brachte der Abend zutage: Niederschwellige Hotlines und Anlaufstellen schaffen, an die sich Menschen bei Diskrimierungen, Problemen und Ängsten wenden können, Broschüren und Homepages mit wichtigen Informationen, Hilfsangeboten und Telefonnummern auf ukrainisch anbieten und immer wieder gute Beispiele öffentlich machen – etwa wenn russischsprachige Menschen sich für Geflüchtete aus der Ukraine einsetzen.

Und noch etwas hoben Pascal Bader und Alexander Maier und hervor. Das Miteinander ist die Lösung, Pauschalverurteilungen dagegen sind tabu: „Wir alle müssen widersprechen, wenn undifferenzierte Russenkritik kommt – ebenso, wie wir widersprechen müssen, wenn der Krieg gelobt wird.“