Kirchheim

Der Joint ist kein Freund

Der Landkreis Esslingen verzeichnet in diesem Jahr schon acht Drogentote

Die Podiumsveranstaltung zur Drogensucht in Kirchheim hat eine klare Botschaft: Der vermeintlich harmlose Joint ist heute gefährlicher denn je.

Schon der Konsum eines Joints könne zu Psychosen führen: Bei einer Podiumsdiskussion in Kirchheim warnen Experten davor, Cannabi
Schon der Konsum eines Joints könne zu Psychosen führen: Bei einer Podiumsdiskussion in Kirchheim warnen Experten davor, Cannabis zu verharmlosen.Fotos: Markus Brändli (2) und Carsten Riedl

Kirchheim. Auf dem Podium saßen Professor Dr. Christian Jakob, Leiter der psychiatrischen Klinik in Nürtingen, Kriminalhauptkommissar Florian Schepp, Leiter der Rauschgiftermittlergruppe der Kriminalpolizei Esslingen, und Gerhard Schmid, Leiter der Jugend- und Drogenberatung Kirchheim. Was die Referenten zu berichten hatten, ist erschreckend: Bereits Kinder im Alter von elf Jahren kommen leicht an Drogen.

Florian Schepp wird deutlich: „Bei Jugendlichen verzeichnen wir ein sinkendes Einstiegsalter. Viele haben bereits mit 14 Jahren den ersten Kontakt zu Drogen. Der Joint gilt bei den jungen Leuten als harmlos.“ Schepp betitelt das Grasgemisch aus Cannabis und Marihuana als harte Droge.

Christian Jakob ergänzt, dass die Pflanzen mittlerweile hochgezüchtet sind und der Wirkstoffgehalt bis zu 20  Prozent beträgt. Vor Jahren galt die Meinung, dass vor allem der Joint kaum schädliche Wirkung habe. Heute könne schon der Genuss eines mit Cannabis gefüllten Glimmstängels zu Psychosen oder zum Tod führen. Sehr stark zugenommen haben Selbsttötungen nach längerfristigem Genuss von Betäubungsmitteln.

Die Vermarktung der diversen Drogen, sei es Cannabis, Legal High und andere zum Teil gefährliche Mischungen, wurde mit dem Internet vereinfacht. Es gibt Online-Shops, die verschiedene Betäubungsmittel anbieten – versteckt als Badesalz oder Kräutermischung. Wer sich auskennt, kommt online überall an die Substanzen oder Fertigprodukte. Sehr oft findet der Handel im Darknet statt. Gerhard Schmid warnt eindringlich: „Bei einem Feldversuch in Holland wurde Cannabis offen abgegeben. Die Folge war ein umgehender Anstieg der Psychosen.“

„Cannabis ist verboten“, warnt Florian Schepp, „wen wir mit 0,01  Gramm erwischen, der bekommt das volle Polizeiprogramm.“ Gemeint sind: Polizeiliche Ermittlungen, Erkennungsdienst, Meldung an die Führerscheinstelle. „Wer mit 17  den Führerschein machen will und vorher mit Drogen erwischt wird, kann das vergessen.“ Schepp berichtet aus seiner täglichen Polizeiarbeit: Mädchen im Teenageralter rauchen „Legal Highs“ – in der Fachsprache „Neue psychoaktive Substanz“ genannt – und fallen ohnmächtig um. Die Nadel braucht es heutzutage nicht mehr. Pillen und Tabakzumischungen sind die Verkaufsschlager.

Crystal Meth, die neue Designerdroge, ist gemäß Florian Schepp in Baden-Württemberg noch kein Thema. „Wir sorgen dafür, dass das auch so bleibt.“ Die Rauschgifthändler haben es nicht mehr leicht. Heutzutage sind die Dealer fast nur noch damit beschäftigt, ihr Handeln zu vertuschen. „Aber wir kriegen sie alle“, behauptet Kriminalhauptkommissar Florian Schepp.

Die Veranstaltung organisiert hatten der Arbeitskreis Polizei der CDU Nordwürttemberg, die CDU Kirchheim-Dettingen, die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) im Kreis und die Junge Union Kirchheim. Leider nahmen nur wenige Interessierte teil, dennoch gab es nach den Referaten viele Fragen: Ein Besucher wollte wissen, ob es ein bestimmtes soziales Milieu gibt, das vom Drogenkonsum betroffen ist. Schepp erklärt, dass sich der Konsum nach dem Preis richtet. Kokain gilt als Rauschmittel für die Reichen, da ein Gramm rund 90 Euro kostet. Amphetamine, wie zum Beispiel Ecstasy, kriegt der Kunde für acht Euro pro Tablette.

Die besorgte Mutter eines Gymnasiasten sprach den Leistungsdruck in der Schule und bei der Arbeit an. Heutzutage sei es doch fast schon Mode, sich mit Rauschmitteln fit zu halten. Wie soll man die eigenen Kinder davor bewahren, „es auszuprobieren“?

Drogenberater Gerhard Schmid antwortete resigniert: „Die Jungen sind heutzutage fit und kennen sich im Internet besser aus, als wir Alten. Ich höre die Teenies immer wieder triumphieren: Wenn doch Cannabis eh legalisiert werden soll, kann es doch gar nicht so schlimm sein.“ Schmid empfiehlt vorsorgliche Information. Reden sei immer besser, als hinterher zu weinen.

Ein Familienvater aus Kirchheim brach eine Lanze für die Jugendlichen: „So schlecht ist doch die Jugend gar nicht, wie sie immer dargestellt wird.“ Die Älteren sollen als gutes Beispiel vorangehen und den Kindern vermitteln, dass Niederlagen zum Leben gehören und gleichzeitig das Erwachsenwerden fördern.

Drogen, Kräutermischung, Droge,
Drogen, Kräutermischung, Droge,

Zahlen – Daten – Fakten

1 226 Drogentote zählte das Bundeskriminalamt im Jahr 2015; eine Steigerung von 20 Prozent gegenüber 2014. In nahezu allen Substanzen, die illegal konsumiert werden, gab es signifikante Steigerungen. Badesalze und Legal Highs, die bis heute legal gekauft werden können, sind für die zunehmenden Todesfälle verantwortlich. Die Bundesregierung arbeitet bereits am gesetzlichen Verbot dieser Substanzen. Cannabis kann Schizophrenien verursachen, deren Auswirkungen selbst Professionelle in der Suchthilfe unterschätzen. Cannabisprodukte werden gemäß Peter Schuster (CDA), zu unrecht verharmlost. Legal Highs sind synthetische Designerdrogen, die nicht im Betäubungsmittelgesetz aufgeführt sind. Sie befinden sich in einer legalen Grauzone und werden Neue psychoaktive Substanzen (NPS) genannt. 45 Prozent der Konsumenten von NPS nehmen Räuchermischungen, die irreführend als Kräutermischung, Raumduft oder Lufterfrischer angeboten werden. Deren Wirkung ist zehn bis 20 Mal so stark wie die von Cannabis. kry