Kirchheim

Der Kapitalismus zerstört Leben

Theater Die Badische Landesbühne zeigt in der Kirchheimer Stadthalle Thomas Manns „Buddenbrooks“.

Das Deckblatt des Programmhefts zeigt eine offene Ladenkasse: Es geht ums Geld bei Familie Buddenbrook. „Der Verfall einer Familie“ ist der Untertitel des Romans von Thomas Mann von 1901, für den er 1926 den Nobelpreis für Literatur bekommen hat. Er hatte die eigene Familie als Beispiel. Vom Geld ist im Roman natürlich auch die Rede, doch der Hauptgrund für den Verfall liegt in der zunehmenden Dekadenz der Firmeninhaber. Sie sind den Kämpfen der Geschäftswelt immer weniger gewachsen, weil ihr Geschäftssinn durch geistige Ablenkungen gestört wird. Jean, der Sohn des Firmengründers Johannes, ist von religiösem Denken „infiziert“, dessen Sohn Thomas grübelt über den Sinn des Lebens und den Tod nach, dessen Sohn Hanno sitzt nur noch am Klavier und hat keinen Lebenswillen mehr.

Die Badische Landesbühne greift bei der Theaterfassung des Romans auf eine 2005 entstandene Bearbeitung von John von Düffel zurück. Düffel ist Schriftsteller und Dramaturg beim Branchenprimus, dem Deutschen Theater Berlin. Er stellt in seiner Version die drei Kinder des Konsuls Jean Buddenbrook in den Mittelpunkt: Tony, Thomas und Christian. Sie gehen weniger durch die Dekadenz als durch das Gewinnstreben des Kapitalismus zugrunde.

Auch die Texte des Programmhefts und die Brechtzitate weisen in die Richtung. Vor allem Tony ist ein Opfer der Ökonomisierung menschlicher Beziehungen. Sie darf nicht einen noch unfertigen geliebten Arzt heiraten, sondern wird in eine Ehe mit einem abstoßenden Geschäftsmann gedrängt. Bruder Christian hat überhaupt keinen Geschäftssinn. Er kann seine künstlerischen und emotionalen Neigungen nicht ausleben, leidet unter hypochondrischen Symp­tomen und endet in einer Nervenanstalt. Hoffnungsträger Thomas bricht unter der Last der Verantwortung auch körperlich zusammen. Hannos Tod wird nicht mehr thematisiert. Er passt nicht in die Kapitalismuskritik.

Für die Präsentation auf der Bühne wählen die Bruchsaler mit Regisseur Carsten Ramm einen mutigen Weg. Fast jede Erinnerung an die Verfilmungen, vor allem an die von 1959 mit Liselotte Pulver und Hansjörg Felmy, wird weggewischt. Vor einer grauen Wand stehen drei Tische mit Stühlen. Sie schaffen eine ungemütliche und kalte Atmosphäre. Die Auftritte links und rechts von der Wand geschehen in rascher Folge, zäsuriert durch kurze Musikeinspielungen. Sie können sich auch überschneiden. Seltene Umbauten finden auf offener Bühne statt. Das Geschehen wird also „verfremdet“, und es wird an einem einzigen Schauplatz gespielt. Das hat den Vorteil der Konzentration. Der Dialogtext Thomas Manns rückt in den Mittelpunkt. Allerdings haben die Akteure wenig zu tun. Sie dürfen auf die Stühle und auf den Tischkanten sitzen und auch mal ein Glas in der Hand halten. Ganz schwierig wird es, wenn andere Schauplätze unbedingt eingeblendet werden müssen, so Tonys innige Erlebnisse an der Ostsee mit Morten und die lustigen mit Permaneder in München. Die sparsamen szenischen Andeutungen auf der Bühne vertrauen offensichtlich der Kenntnis des Romans beim Publikum, das vielleicht angeregt wird, nach dem Theaterbesuch noch zum Originaltext zu greifen.

Sehr gelungen sind filmische Einblendungen der Überväter Jean und Thomas. Sie formulieren das Credo der Firmeninhaber: Jedes Mitglied der Familie hat seine individuellen Wünsche dem Interesse der Firma unterzuordnen.

Der herzliche Beifall des Publikums galt vor allem dem Engagement der Schauspielerinnen und Schauspieler. Es gibt einige Doppelrollen mit Schwierigkeiten. Doch die Darsteller der Hauptfiguren können Profile entwickeln. Jessica Schultheis als Tony demonstriert glaubhaft, dass sie durch fremdes und eigenes Verschulden ein verpfuschtes Leben führt. Bei ihr wird von Anfang bis Ende der Niedergang der Familie vorgeführt. Maximilian Wex (Christian) kann seine Leiden am Erwerbsleben voll ausspielen und Andreas Schulz versucht als Thomas tapfer, die Familie und die Firma zu retten. Er bleibt bis zum Ende bubenhaft und setzt erstaunlich viel Lautstärke ein. Ulrich Staehle