Kirchheim

Der Konditor bietet „leckeres Gebäck“ an

Kabarett Nils Heinrich hat in der Kirchheimer Bastion sein Programm „Aufstand“ vorgetragen.

Kirchheim. Ja, er habe eine Konditorlehre gemacht. Sogar mit Abschluss nach der Wende - Nils Heinrich outet sich sofort als Ossi. Er ist zum ersten Mal in Kirchheim, das er zudem ausgesprochen schön findet. Der 1971 bei Halle geborene Künstler hat auch persönlich eine Wende hingelegt: vom Konditor zum Kabarettisten, von Ost nach West. Mittlerweile ist er eine feste Größe in der Kleinkunstszene, ausgezeichnet unter anderem mit dem Kleinkunstpreis Baden-Württemberg und dem Salzburger Stier.

In der Kirchheimer Bastion war er zu Gast mit dem Programm „Aufstand“. Er gibt sich sehr moderat. „Ich komm aus dem Land, das ‚drüben‘ hieß“, beginnt sein ers­tes Lied, in dem er auf die DDR-Zeit zurückblickt, in der man nicht einmal Trier, die Geburtsstadt von Karl Marx, besuchen konnte. Man träumte vom goldenen Westen, doch diese Träume seien nach der Vereinigung einer gewissen Ernüchterung gewichen. Als er endlich Bayern besuchen konnte, beginnen Zweifel an der „Leitkultur“ mit ihrem blühenden Kapitalismus. Die Kreuze, die überall aufgehängt sind, stehen im Kontrast zum sumpfigen politischen Alltag, so der Tenor seines „Bayernlieds“. Immerhin erweitert sich sein Wortschatz: In Bayern versteht man unter einem „Votzenhobel“ schließlich eine Mundharmonika.

Berlin gleicht einem Chaos

Mittlerweile ist Heinrich in Berlin im Hier und Jetzt angekommen und befasst sich mit dem, was ihm an der neuen Lebenswelt auffällt. Vor allem seien es die neuen Medien und die künstliche Intelligenz. Der Mensch müsse sich nicht mehr anstrengen, alles wird ihm abgenommen - selbst beim Rauchen. Dadurch könne er sich nirgends mehr anstrengen und damit einen eventuellen Frust abreagieren. Wenn etwas defekt ist, werde nichts mehr repariert und neue Geräte würden einen Tag nach Ablauf der Garantie kaputtgehen. Als „Mann von gestern“ spüre er Auswüchse des modernen Lebens auf, verstehe nicht die Tattoo-und Piercingepidemie, den esoterischen Ernährungskult oder dass deutsche SUVs komplett im Ausland hergestellt werden. Besonders Heinrichs Wohnsitz Berlin bekommt sein Fett weg. Diese Stadt sei Ziel von etwa vier Millionen Touristen, die das Chaos besichtigen wollen.

Das klingt alles sehr bedrückend, doch Heinrich nimmt die übersteigerte Zukunftsangst und die falsche Vergangenheitsverklärung aufs Korn. Er ordnet sich ausdrücklich nicht in die politischen Kabarettisten ein, die er durchaus schätzt, ist aber trotzdem im politischen Club Bastion richtig am Platz. Der kritische Zugriff geschieht bei ihm behutsam, oder, in der Konditormetaphorik könnte man sagen, er bietet leckeres Gebäck an. Beim Verzehr merkt man, dass das Gebäck im Geschmack nachhaltig ist und manchmal etwas bitter sein kann. Schließlich ist der Konditor schon in seiner lateinischen Urbedeutung einer, der würzige Speisen herstellt.

Der Künstler besitzt sprachliche Sensibilität, liefert Wortspiele und Pointen im Rekordtempo. Er ist wortgewandt und kann wirklich singen unter Einsatz seiner Gitarre. Sein größtes Pfund ist aber, dass er ungeküns­telt glaubwürdig wirkt und sofort Kontakt zum Publikum findet. Ganz besonders, wenn er Privates verhandelt. Er erzählt und singt von seinen kleinen Kindern und vom Spielplatz, der mit seiner internationalen Belegschaft einer UNO-Vollversammlung gleiche. Das schafft Nähe und Sympathie. Dass er nicht nur „Konserven“ abliefert, zeigt sich in der „Verarbeitung“ von tagesaktuellen Meldungen wie dem Einmarsch der Türken in Syrien oder die neuesten törichten Äußerungen Trumps. Und dass er wirklich Humor und Schlagfertigkeit besitzt, beweist sein Umgang mit den einigen kleineren, aber folgenreichen Pannen der Technik in der Bastion. Bei so viel Witz und Heiterkeit waren am Schluss natürlich zwei Zugaben fällig. Ulrich Staehle