Vor wenigen Monaten noch hat hier die Firma Festo an Automationstechniken der Zukunft geforscht. Ab 22. Januar will man an selber Stelle dazu beitragen, dass der gewohnte Alltag wieder eine Zukunft hat. Im dritten Stock des Firmengebäudes in der Zeppelinstraße 112 in Esslingen sollen ab 22. Januar die ersten Corona-Impfungen im Kreis stattfinden. Ein zweites Impfzentrum geht zeitgleich in der Halle 9 der Fildermesse an den Start. Gestern durften sich Pressevertreter in der Zeppelinstraße vorab einen Eindruck vom Einbahnstraßen-Parcours verschaffen, der sich dort auf 1500 Quadratmetern durchs Gebäude schlängelt. Von der Anmeldung über Videokammern, in denen sechsminütige Aufklärungsfilmchen über Bildschirme flimmern, bis zu den sechs Doppelkabinen, in denen in Spitzenzeiten bis zu 800 Personen am Tag geimpft werden könnten.
Dafür braucht es vor allem eines: ausreichend Impfstoff. Weil es den zuletzt nicht gab, musste der geplante Start in den Kreisimpfzentren im Land zum 15. Januar um eine Woche verschoben werden. Zeit, die alle Beteiligten genutzt haben, um Personal zu schulen und Abläufe zu optimieren. Jetzt sagt der Esslinger Landrat Heinz Eininger: „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Wir stehen bereit.“
Wir - das sind die Kreisverwaltung und der Malteser Hilfsdienst, der federführend gemeinsam mit DRK und Johannitern den Prozess steuert. Eine krisenerprobte Allianz, die schon vor fünf Jahren den Kreis-Dampfer durch die Flüchtlingskrise steuerte. Rund 200 Helfer sind an beiden Standorten und in vier mobilen Impfteams im Einsatz. Dazu kommen Ärzte wie Florian Bopp, vor wenigen Monaten erst als Chefarzt in Nürtingen in den Ruhestand verabschiedet, jetzt instruiert er Kollegen in der gößten Impfkampagne, die das Land je gesehen hat. Darunter sind wie er viele Ruheständler.
Der Landkreis ist nur Erfüllungsgehilfe, das wird Eininger an diesem Tag nicht müde, zu betonen. „Die Politik hat eine große Erwartungshaltung geweckt“, sagt er. „Das können wir im Moment nicht einlösen.“ Was geht oder nicht geht, entscheidet allein die Menge an Impfstoff, die der Bund zur Verfügung stellt und der in den Ländern nach einem festen Schlüssel verteilt wird. Davon hängt ab, wie schnell und zahlreich Termine über die vom Land betriebenen Portale vergeben werden können. Deshalb wird das wertvolle Gut wie Kronjuwelen gehütet, an einem geheimen Ort gelagert und rund um die Uhr von Sicherheitsdiensten bewacht. Etwa 80 Prozent der verfügbaren Vaccine im Landkreis sollen in den Anfangswochen von den mobilen Teams in Pflegeheimen verimpft werden. „Das wird in der Anfangsphase der Schwerpunkt sein“, sagt Marc Lippe, Bezirksgeschäftsführer der Malteser. Er und seine Kollegen haben über die Feiertage durchgearbeitet, um pünktlich gewappnet zu sein.
Viele Ältere benötigen Hilfe
Der Impfstart für alle Älteren über 80 offenbart allerdings auch Fehler im System. Etwa 36 000 Menschen dieser Altersgruppe leben im Kreis Esslingen. Das sind rund sechs Prozent der Kreisbevölkerung. Viele davon wohnen im Heim, aber eben nicht alle. Wie viele in den eigenen vier Wänden auf sich allein gestellt und ohne fremde Hilfe nicht mobil sind, darüber gibt es im Landkreis keine gesicherten Zahlen. Deutschlandweit sind es fünf Millionen.
Wie man die erreichen will, ist im Moment unklar. Bis normale Hausärzte zu impfen in der Lage sein werden, müssen auch Hochbetagte, die nicht im Heim leben, den Weg ins Impfzentrum auf sich nehmen. „Etwas anderes sieht das System im Moment nicht vor“, sagt der Landrat. Eininger setzt zu Beginn auf das Netz ambulanter Hilfen, auf Fahrdienste von Seniorentreffs und auf Nachbarschaftshilfe. Man stehe im Austausch mit den Seniorenvertretungen, betont er. „Wenn wir von dort die ersten Rückmeldungen bekommen, wird man zielgenau nachjustieren müssen.“