Kirchheim

Der Mensch hinkt der Technik hinterher

Kelly-Insel Vortrag über die Gefahren, die auf Kinder und Jugendliche im Alltag lauern – in diesem Fall im virtuellen Alltag bei der Dauernutzung des Smartphones und sonstiger digitaler Medien. Von Andreas Volz

Der Medienreferent Aytekin Celik spricht auf der Hauptversammlung des Vereins „Kelly-Insel“ über die Verantwortung Erwachsener f
Der Medienreferent Aytekin Celik spricht auf der Hauptversammlung des Vereins „Kelly-Insel“ über die Verantwortung Erwachsener für die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen.Foto: Markus Brändli

Wer Kelly-Inseln als Anlaufstellen für Kinder auf dem Schulweg kennt, wird sich wundern, dass sich der Verein vor seiner Hauptversammlung mit Smartphones beschäftigt. Allerdings geht es bei der Kelly-Insel längst ganz allgemein um Präventionsarbeit - mit dem Ziel, „in der Bevölkerung vorhandene Unsicherheiten abzubauen, aber auch das Bewusstsein für Gefahren, die auf Kinder im Alltag lauern, zu schärfen“. Die Gefahren, die im Internet lauern, sind groß - fast so groß wie die Angst vor diesen Gefahren. Das wiederum führt dazu, dass viele Eltern ihre Kinder so lange wie möglich von Smartphones weghalten wollen.

Eine möglichst lange andauernde Smartphone-Sperre hält Aytekin Celik von der Medienakademie Baden-Württemberg für den falschen Weg: „Es geht ja nicht um das Smartphone als Gerät, sondern um das, was es transportiert.“ Und das, was es transportiert, sind eben sämtliche Angebote des Internets - mit einem räumlich und zeitlich nahezu unbegrenzten Zugang.

So wenig wie man also das Internet verteufeln kann, sollte man das auch mit dem Smartphone tun. Grundsätzlich sei das Internet als ein einziges großes Wissensnetzwerk gedacht gewesen - erst recht ab 1991, als es durch das „World Wide Web“ so langsam gesellschaftsfähig wurde. Erfolgreich sei diese Idee beispielsweise bei Wikipedia, sagt Aytekin Celik: „Jeder kann mitmachen und Inhalte reinbringen.“

Das ist aber letztlich dasselbe Prinzip wie bei Facebook und allen anderen „sozialen“ Netzwerken: „Die sind sozial in dem Sinn, dass sie jeder nutzen kann, ob er das technisch versteht oder nicht.“ Aber wenn tatsächlich jeder zum Nutzer wird, geht der hehre Gedanke der Wissenserweiterung durch globales Teilen von Wissen schnell verloren: „Vor 30 Jahren dachte keiner daran, dass die Leute lieber Katzenbilder tauschen als Wissen.“ Nicht nur Tierbilder sind beliebt, auch die Nahrung: „Die Leute wollen ihr Essen posten. Am Abend ist das Mittagessen aber schon langweilig.“

Das ist aber nicht das einzige Problem, mit dem die Wissensvermittlung im Internet zu kämpfen hat. Das andere Problem ist gerade die Tatsache, dass sich jeder beteiligen kann: „Wenn alle mitmachen, gibt es auch viele Falschmeldungen.“ Dann reproduziere sich nicht nur das Richtige und Wahre, sondern auch das Schlechte.

Noch ein Problem kommt hinzu: Die Rechenpower, für die die Computer der 60er-Jahre noch die gesamte Fläche Stuttgarts benötigt hätten, steckt heute schon in drei Smartphones. „Die exponentielle Entwicklung der Geräte trifft auf die lineare Entwicklung des Menschen.“ Der Mensch kann bei der rasanten Entwicklung der Technik also nur mühsam hinterherhinken: „Smartphones sind nur eine Übergangslösung. Wir werden schon bald Kontaktlinsen haben, die uns die Bildschirminhalte direkt vor die Augen führen.“

Falsche Botschaft durch Verbote

Was hat das nun mit Kindern und Jugendlichen zu tun und mit ihrem Schutz vor den Gefahren des Smartphones? „Eine Schule kann auf lange Sicht nicht bestehen, wenn sie Smartphones verbietet.“ Schulen mit Smartphone-Verbot vermitteln die Botschaft: „Wir gehören nicht zu dieser Welt, wir gehören nicht zu dieser Gesellschaft.“

Also sollten Eltern ihre Kinder an die Medienpartizipation heranführen: „Kinder müssen die Teilhabe an einer digitalisierten Gesellschaft lernen. Anders kann das Leben von Kindern nicht mehr erfolgreich verlaufen.“ Zur Teilhabe gehört es - wie im „richtigen Leben“ auch - nicht auf Nepper, Schlepper, Bauernfänger reinzufallen. Der Schutz vor Betrügern oder Erpressern ist aber nur ein Teil der Prävention. Es geht auch darum, sich nicht aus Versehen strafbar zu machen, weil man das Falsche hoch- oder runterlädt. Die Selbstinszenierung kommt noch hinzu. Aytekin Celiks Beispiel dafür: „Eine Sechs in Mathe wird nicht gepostet, eine Eins schon.“ Denn das Internet vergisst nichts.