Kirchheim

Der Respekt schwindet mehr und mehr

Gesellschaft Nicht nur Polizisten sehen sich verstärkt Beleidigungen und Drohungen ausgesetzt. Auch die Mitarbeiter des Kirchheimer Ordnungsamts brauchen ein dickes Fell. Von Heike Siegemund

Immer öfter werden die Mitarbeiter des Vollzugsdiensts beleidigt und bedroht.Foto: Carsten Riedl
Immer öfter werden die Mitarbeiter des Vollzugsdiensts beleidigt und bedroht.Foto: Carsten Riedl

Es ist ein bisschen wie beim Finanzamt: Wenn das Ordnungsamt kommt, freut sich keiner. Das ist nicht neu. Doch der Umgang vieler Menschen mit den Mitarbeitern des Gemeindevollzugsdienstes hat sich verändert - und zwar auf teils drastische Weise: Der Respekt vor den Mitarbeitern schwindet; immer öfter werden sie beleidigt und bedroht. Christoph Lazecky kann ein Lied davon singen. Der Sachgebietsleiter für Sicherheit und Gewerbe des Kirchheimer Ordnungsamts berichtet von einer deutlich gesunkenen Hemmschwelle vieler Menschen. Auch seine Mitarbeiter sehen sich zunehmend Beleidigungen und Bedrohungen ausgesetzt, genauso wie es Polizisten schon seit Längerem beklagen.

„Auch bei kleinen Verstößen sehen es viele Menschen nicht mehr ein, dass sie einen Fehler begangen haben, und machen meine Mitarbeiter dafür verantwortlich“, sagt Lazecky. „Da wird dann viel diskutiert. Massive Beleidigungen sind an der Tagesordnung.“ Kraftausdrücke wie „Arschloch“ seien normal und höre das Ordnungsamt ständig. Vielen Menschen kämen die Schimpfwörter mit einer derartigen Inbrunst über die Lippen, dass klar sei: „Er oder sie meint es genau so.“

Einen besonders heftigen Fall erlebten Lazecky und seine Kollegen erst vor Kurzem: Eine Mitarbeiterin des Ordnungsamts erwischte eine Frau, die mit ihrem Auto vor einem Kindergarten auf dem Gehweg geparkt hatte. Die Frau war derart erbost über das Bußgeld, das ihr wegen des Parkverstoßes auferlegt wurde, dass sie der Mitarbeiterin des Ordnungsamts zurief: „Ich hoffe, Sie sterben bald“, berichtet Lazecky. „Das war starker Tobak.“ Für die Kollegin sei es nicht einfach gewesen, diesen Satz zu verdauen. Letztlich aber hätten sich alle seine Mitarbeiter ein dickes Fell zugelegt - oder dies von vornherein mitgebracht - und könnten die Aussagen relativ gut wegstecken.

„Zum Glück ist es noch nicht so weit, dass es zu Handgreiflichkeiten gegenüber unseren Mitarbeitern kommt“, betont der Sachgebietsleiter. Allerdings findet er die Entwicklung auch so schon traurig genug. Egoismus und Uneinsichtigkeit greifen mehr und mehr um sich, ergänzt er. „Vielen Gehwegparkern ist es zum Beispiel egal, wenn eine Mutter mit dem Kinderwagen oder eine ältere Frau mit dem Rollator nicht mehr vorbeikommen.“

Unbeliebte Knöllchen: Strafzettel waren noch nie beliebt. Manch einen bringen sie sogar vor Gericht. Archiv-Foto: Jean-Luc Jacqu
Unbeliebte Knöllchen: Strafzettel waren noch nie beliebt. Manch einen bringen sie sogar vor Gericht. Archiv-Foto: Jean-Luc Jacques

Besonders ausgeprägt sei die Uneinsichtigkeit derzeit bei sogenannten Helikopter-Eltern, also bei überfürsorglichen Müttern und Vätern, beschreibt Lazecky ein neues Phänomen: „Aktuell sind sie am schlimmsten. Sie parken im absoluten Halteverbot, auf dem Gehweg oder in der Feuergasse, um auf ihr Kind zu warten.“ Die anderen Kinder werden dabei überhaupt nicht beachtet, sagt Lazecky. Dies sei zum Beispiel bei der Kita in der Teckstraße oder bei der Freihof-Realschule regelmäßig zu beobachten. „Vor der Kita in der Teckstraße gibt es nicht viel Platz. Die Kinder müssen dann auf die Straße ausweichen, wo viel Verkehr ist“, beschreibt der Sachgebietsleiter die Gefahr. „Es ist hier nicht die Frage ob, sondern wann etwas passiert“, warnt Lazecky.

Eine Erklärung für diese Entwicklung hat der Sachgebietsleiter nicht. Ebenso weiß er nicht, wie die verbalen Attacken zu verhindern sind. Er und seine Mitarbeiter hoffen auf Verständnis und Einsicht der Menschen. „Wir versuchen, ihnen zu erklären, warum die Regelungen so sind wie sie sind, aber die Leute wollen das nicht hören.“ Eine Strafe wegen Beleidigung zu verhängen, sei schwierig. „Die Staatsanwaltschaft lässt uns hier leider im Stich.“ Zwischen 40 und 50 Anzeigen habe das Kirchheimer Ordnungsamt bereits wegen Beleidigung aufgegeben; doch es sei mangels öffentlichem Interesse nie zu einem Gerichtsverfahren gekommen. „Das schürt natürlich noch die Respektlosigkeit“, bedauert Lazecky.

Zu beobachten sei diese Entwicklung übrigens quer durch die Gesellschaftsschichten und Nationalitäten und unabhängig vom Bildungsstand: Überall gebe es Menschen, die sich anmaßend verhalten. Ob es um Parkverstöße geht, um Vermüllung, Lärm oder Fahrradfahren in der Fußgängerzone: Vom Rechtsanwalt bis zum Hartz-IV-Empfänger, von den jungen Leuten bis zu den Senioren sei alles dabei. Eine Erfahrung habe das Ordnungsamt aber gemacht: „Je höher der Bildungsstand ist, desto mehr denken die Leute, sie könnten sich alles herausnehmen.“

Selten Lob, stattdessen jede Menge Ärger

Beim Kirchheimer Ordnungsamt sind sechs Mitarbeiter im Außendienst tätig, davon drei Frauen. Sie müssen hart im Nehmen sein, betont Sachgebietsleiter Christoph Lazecky. Die psychische Belastung sei aufgrund der gesunkenen Hemmschwelle vieler Bürger, die seit etwa eineinhalb Jahren zu beobachten sei, sehr hoch. „Lob von außen gibt es selten bis gar nicht - stattdessen Ärger rund um die Uhr“, konstatiert Lazecky. Seine Mitarbeiter können auf freiwilliger Basis spezielle Schulungen zum Konfliktmanagement und zum Umgang mit aggressiven Bürgern besuchen. hei