Kirchheim

Der Tod, die Liebe und warme Socken

Konzert Die wunderbare Musik und Poesie zu Leben und Tod im Spitalkeller der Kirchheimer Volkshochschule hätte weit mehr als 30 Zuhörer verdient gehabt. Von Peter Dietrich

Heidrun Speck am Piano und Jeschi Paul treten für die Ehrenamtlichen der Arbeitsgemeinschaft Hospiz auf. Foto: Peter Dietrich
Heidrun Speck am Piano und Jeschi Paul treten für die Ehrenamtlichen der Arbeitsgemeinschaft Hospiz auf. Foto: Peter Dietrich

Die Arbeitsgemeinschaft Hospiz hatte eingeladen, doch die meisten Gäste waren die „eigenen Leute“. Dennoch warb die Arbeitsgemeinschaft Hospiz zu Beginn um Verstärkung für ihre 40 Aktiven: Im Frühjahr 2018 beginnt eine neue Ausbildung, im Herbst gibt es Infoabende. Das Konzert mit Lesungen war auch als Dankeschön für die Ehrenamtlichen gedacht. Es wurde ein abwechslungsreicher, trost- und humorvoller Dank.

Humor - beim Thema Leben und Tod? Ja, weil das Bewusstsein der eigenen Begrenztheit und menschlichen Endlichkeit auch gelassen machen kann. Abwechs­lungs­reich? Ja, denn die grundlegen Fragen zum Leben, zum Tod und zum Leben nach dem Tod haben die Menschen zu allen Zeiten beschäftigt. Auch musikalisch.

So hatten die beiden Profis Jeschi Paul (Mezzosopran) und Heidrun Speck (Piano) eine Sammlung quer durch die Jahrhunderte mitgebracht. Sie begann mit einem lateinisch gesungenen Gebet mit der Bitte um das göttliche Erbarmen und erreichte schließlich das Chanson und den Schlager. Dabei bewiesen Jeschi Paul und Heidrun Speck eine enorme musikalische und stimmliche Vielfalt. Ein direkter Wechsel vom wunderschönen, stimmlich bunten „Wo kommt dein Lächeln her?“ von Peter Janssens zum tief rockig vorgetragenen „Tears in Heaven“ von Eric Clapton? Kein Problem, das Duo ist in allen Stilrichtungen zu Hause.

Titel über die Lust am Leben

Gleich zweimal, beim „Leierkastenmann“ und bei der Zugabe, waren sie auch als Duett zu hören. Diese Zugabe war „Je veux“ der französischen Sängerin Zaz. Sie besingt darin die Lust und die Liebe am Leben, die sie sich wünscht, ein fröhlicher Ausklang des Abends.

Zuvor gab es viele nachdenkliche Momente. Seinen Titel, „Könnte mein Leid im Liede vergehn“, bekam das Konzert aus dem Lied „If my Complaints“ von John Dowland, er lebte von 1562 bis 1626. Auf Dowland folgte Henry Purcell, dessen „Music for a ­While“ eine Zeit lang alle Sorgen vertreiben soll. Für die beiden Künstlerinnen ist das Stück ein Ausdruck für die heilsame Kraft der Musik, die auch Martin Luther gekannt habe: Sie vertreibe den Teufel und mache die Leute fröhlich, habe der Reformator gesagt.

Mit Johannes Brahms wurde der Tod in sehr ernsten Gesängen besungen. Dass der Abschiedsschmerz seine Zeit hat und im Lauf der Zeiten und Jahreszeiten auch vergehen darf, zeigte „Dreimal“, ein kurzer und eindrücklicher Text von Marie-Luise Kaschnitz.

Hinter einigen Kompositionen standen sehr persönliche Erfahrungen. In „Tears in Heaven“ hat Eric Clapton den Tod seines vierjährigen Sohnes verarbeitet, der bei einem Unfall aus dem Fenster gestürzt und sofort tot war. Der verkürzte Titel des Songs könnte in die Irre führen, denn die Ballade spricht im Gegenteil davon, dass es im Himmel keine Tränen gibt.

In gleich zwölf Kompositionen hat Aaron Copland Gedichte von Emily Dickinson verarbeitet, die über ihren eigenen Tod sinniert. Die innere Zerrissenheit in „Going to Heaven“ hat sich in wilden Rhythmen niedergeschlagen. Dickinson outet sich als eine, die nicht an den Himmel glaubt, aber möge er für andere ein heilsamer Trost sein. Ihre ruhige Kutschfahrt mit dem Tod in „The Chariot“ wird nur kurz etwas lebendiger, als es an einem Schulhof vorbeigeht.

Wie denkt ein älterer Herr über das Altwerden? Das hat Hermann Hesse in seinem Text „Altwerden“ trefflich eingefangen. Der Alte freut sich über Weisheit und Tugend, die er gewonnen hat, und über warme Socken. Er wünscht sich zuletzt einen sanften Tod - aber später, noch nicht heute, denn er will noch leben.

Dann wäre da noch das Chanson „Philemon und Baucis“ gewesen. In der Jugend war es die erste Liebe, im Alter treffen sich die beiden im Park wieder. Im Herbst verabschieden sie sich bis zum nächsten Frühjahr - mit einem „vielleicht“, denn das Leben ist im Alter noch unsicherer als sonst. Bleibt noch die eine Frage offen, die sich Jeschi Paul und Heidrun Speck bei der Vorbereitung des wunderschönen Abends gestellt haben: Warum nur im Park, können sich die beiden Liebenden im Winter nicht stattdessen im Café treffen?