Kirchheim

Der Verleger verschmähte den Roman

Literaturbeirat Matthias Slunitschek hat über Hermann Kurz und die durchgebrannte Gräfin referiert. Sie hat ihre Familie verlassen und sich im Schwarzwald herumgetrieben. Von Ulrich Staehle

Wir wollen dem Referenten für seinen informativen und lebendigen Vortrag danken.“ - Es kommt selten vor, dass ein Zuhörer sich spontan zum Sprecher des Publikums macht. So ist es aber im Max-Eyth-Haus bei einer sonntäglichen Matinee geschehen.

Matthias Slunitschek hatte einen Vortrag über einen Gesellschaftsskandal zu Zeiten und im Zusammenhang mit einem Werk von Hermann Kurz angekündigt. Herausgekommen ist ein „Feuerwerk für Hermann Kurz“, wie Renate Treuherz vom Literaturbeirat bilanzierte. Völlig frei, ohne Manuskript, hatte der Referent temperamentvoll über den Schriftsteller gesprochen. Das kann man nur, wenn man ein intimer Kenner von Hermann Kurz ist, wie der Autor, Lektor und Werbefachmann Slunitschek es ist.

Für den Literaturbeirat lag es nahe, diesen Spezialisten einzuladen, denn aus gutem Grund wird das Andenken an den Autor im Literaturmuseum gepflegt: Er hat 1885/1886 mit seiner Familie in Kirchheim gelebt. Kirchheim und seine Umgebung tauchen immer wieder in seinem Werk auf. Und nicht zuletzt: Der Kirchheimer Verleger Jürgen Schweier hat Pionierarbeit geleistet mit der Veröffentlichung von Kurztexten - so wie 1986 mit dem umfang- und materialreichen Roman „Schillers Heimatjahre“.

Doch wichtiger als alle Gesellschaftsskandale war es dem Referenten, so räumte er selbst ein, Vorurteile über den Schriftsteller Kurz zu entkräften. Er sei verkannt, verarmt, vergessen - nichts davon stimme. Kurz war gleich ein anerkannter Schriftsteller und ein überragender Übersetzer, kam finanziell einigermaßen über die Runden und sei beileibe nicht vergessen. Seine Nachwirkung ist groß, zum Beispiel gäbe es ohne seine Übersetzung des mittelalterlichen „Tristan“ keinen Wagnertext. Dass Hermann Kurz heute noch lebendig ist, beweise auch der proppenvolle Zuhörerraum in Kirchheim.

Verleger wollte nicht drucken

Mit seinem Schillerroman hatte Kurz Schwierigkeiten bei der Vermarktung, obwohl er gründlich recherchiert und literarisch hochwertig war. Kurz erfindet einen Heinrich Roller, den er umherreisen lässt. So hat dieser es mit vielen Zeitgenossen persönlich zu tun, sogar mit dem Herzog Karl Eugen, auch mit Schubart und mit Schiller. Die vielen Erlebnisse und Begegnungen des Heinrich Roller ergeben ein Gesamtbild der Zeit Schillers in der Karlsschule. Eigentlich war ein Erfolgsroman zu erwarten. Der Großverleger Cotta zahlte schon einen Vorschuss. Doch welche Enttäuschung: Cotta lobte das fertige Produkt überschwänglich, lehnte es aber ab, den Roman zu publizieren. Er hatte „große Bedenken“. Was war der konkrete Grund für Cottas Ablehnung?

Slunitschek hat ihn in kriminalistischer Kleinarbeit gefunden. Die adlige „Laura“ in Kurz‘ Roman, die in den Schwarzwald zu den Zigeunern geflohen ist, wird von Heinrich Roller aus den Fängen des Zigeunerhauptmanns Hannikel befreit und an den Hof Karl Eugens zurückgebracht. Für zeitgenössische Leser war zu erkennen, dass für diese Anekdote die skandalöse Geschichte der Gräfin Amalie von Gölnitz die Folie abgab. Diese Dame, die sehr früh mit dem viel älteren Grafen von Uexküll verheiratet worden war, hatte Mann und Kinder verlassen und sich im Schwarzwald mit Zigeunern herumgetrieben.

Vorher hatte sich das Ehepaar 1805 und 1806 in Kirchheim aufgehalten. Vom Oberamtmann Lempp ist ein drastischer Bericht über den Lebenswandel dieser Gräfin vorhanden. Nach der Scheidung erschießt sich der Ehemann Oberst von Uexküll. Dieser Gesellschaftsskandal sollte vergessen werden. Der junge Autor Kurz hat sich nicht daran gehalten, musste die Vorauszahlungen bei Cotta abzahlen und fand erst nach sieben Jahren einen Verleger für seinen Schillerroman, den „Hochverräter“ Gottlob Franckh.

Hermann Kurz zitiert in seiner Vorrede zum Roman eine aus der Antike stammende Sentenz: „Bücher haben ihre Schicksale“. Der Hermann-Kurz-Kenner und -Enthusiast Matthias Slunitschek hat mit seinem leidenschaftlichen Plädoyer dem Schicksal einen Schub gegeben, damit die Bücher des Schriftstellers Hermann Kurz wieder an die literarische Oberfläche kommen.

Ein kurzer Blick in das Leben des Hermann Kurz

Slunitschek brachte die Biografie von Hermann Kurz in Erinnerung. 1813 in Reutlingen geboren, Landexamen, Seminar Maulbronn, Stiftstheologe, Vikar.

Den Entschluss, Schriftsteller zu werden, fasste Hermann Kurz 1836. Dann sitzt er drei Wochen auf dem Asperg, weil er für den demokratischen „Beobachter“ einen unbotmäßigen Artikel geschrieben hat.

Die Rolle seiner Ehefrau Marie, einer Adligen mit revolutionärer und emanzipatorischer Gesinnung, unterstrich der Referent. Sie spottete über Kirchheim als Hochburg des verklemmten Pietismus. Sein ganzes Leben über war sie eine solidarische Partnerin und gebar ihm vier Söhne und eine Tochter, die später bekannte Schriftstellerin Isolde Kurz, die Slunitschek nebenbei vom Verdacht der Nazi-Nähe freispricht.ust