Kirchheim
Die Bücher wurden noch mal verbrannt

Lesung Gerhard Polacek gedenkt der Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933 und vom 30. April 1938.

Kirchheim. Der Literaturbeirat der Stadt Kirchheim veranstaltet jedes Jahr eine Gedenkveranstaltung zur Bücherverbrennung 1933. Dieses Jahr kam eine Facette dazu. Es fand noch eine Verbrennung der Werke deutschsprachiger Autoren statt, und zwar in Österreich am 29. April 1938. Wer wäre geeigneter, darüber zu berichten als der Schauspieler und Vorleser Gerhard Polacek, der als Österreicher seit 40  Jahren in Esslingen lebt und schon einige beeindruckende Aufritte in Kirchheim hatte.

Polacek gab in der Stadtbücherei einen kurzen Einblick in die politische Lage damals in Österreich. Bundeskanzler Kurt Schuschnigg regierte von 1934 bis 1938 diktatorisch. Sein Leitbild war ein astrofaschistischer „Ständestaat“. Dadurch war er ein Wegbereiter der Okkupation durch deutsche Nazis am 12. März 1938. Die meisten Österreicher jubelten, aber Schuschnigg passte mit seinem klerikalen österreichischen Patriotismus dem deutschen Nationalsozialismus überhaupt nicht. Er kam ins KZ und seine Schriften wurden sogar am 30.  April 1938 bei der Bücherverbrennung auf dem Salzburger Residenzplatz ins Feuer geworfen. Auch an anderen Orten im Salzburger Land fand eine nochmalige Verbrennung von Werken der Autoren statt, die auf der schwarzen Liste standen.

Diese Bücherverbrennung wurde nicht wie in Deutschland von Studenten organisiert, sondern ging von den Schulen aus. Der NS-Schulrat und Schriftsteller Karl Springenschmid war der Hauptverantwortliche. Bemerkenswert ist der Umgang Österreichs später mit diesem Nazi: Sein Publikationsverbot von 1945 wurde schon 1951 durch den Bundeskanzler Körner (SPÖ) aufgehoben. Springenschmid konnte seinen rechten Ungeist noch bis zu seinem Tod 1981 verbreiten.

Bevor sich Polacek österreichischen Autoren zuwandte, las er eine Rede Erich Kästners vor, die dieser 1958 unter dem Titel „Über das Verbrennen von Büchern“ gehalten hat. Von Kästner kennt man die Schilderung, wie er bei der Verbrennung seiner eigenen Bücher in Berlin vorbeigekommen ist. Im Vortrag macht er nun aus dem zeitlichen Abstand eine Rückschau. Er betont, dass es Bücherverbrennungen und -verbote gibt, seit es Bücher gibt. Schon bei den Römern hat es das gegeben. Der Bücherverbrennung von 1933 sei auch von großen Geistern wie dem Philosophen Heidegger der Boden bereitet worden.

Kästner geht auf seine Rolle als innerer Emigrant ein. Seine Rechtfertigung besteht darin, dass sein Bleiben in Deutschland für die Machthaber unbequemer gewesen wäre. Heldentum hätte nichts gebracht „außer einer namenlosen Todesanzeige“. Für ein Einschreiten sei die Entwicklung schon zu fortgeschritten gewesen. Wie aktuell ist diese Argumentation: Es ist nicht lange her, dass es in München Bestrebungen gab, die Erich- Kästner-Straße umzubenennen, weil dieser von Goebbels genehmigte Filmdrehbücher geschrieben habe.

Nun wurde es Zeit für österreichische Autoren. Oskar Maria Graf (1894-1967) ist bekannt vor allem für seinen Zeitungsartikel „Verbrennt mich“. 1938 emigriert er in die USA. Polacek las die satirische Geschichte über ein fiktives Zusammensein des Erzählers mit Hitler bei einem Schmalznudelbäcker in Wien. Hitler wird als hypochondrischer, machthungriger Psychopath beschrieben.

Josef Roth durfte bei den Österreichern nicht fehlen. Polacek las einen Brief an Stefan Zweig von 1933, in dem die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage zum Ausdruck kommt. Als heiteres Finale folgte von Robert Neumann eine beißende Satire auf Philologen: das Ringen um die Übersetzung eines chinesischen Gedichtes, das sich als eine hinübersetzte Passage aus dem Struwwelpeter herausstellt. Ulrich Staehle