Kirchheim

Die Demokratie braucht engagierte Demokraten

Pressegespräch Der SPD-Bundestagsabgeordnete Rainer Arnold spricht über seine Arbeit im Wahlkreis und in Berlin

Unterensingen. Es ist sein 19. und letztes Neujahrs-Pressegespräch als SPD-Bundestagsabgeordneter und mittlerweile Verteidigungspolitischer Sprecher seiner Fraktion. „20 habe ich nicht geschafft, weil Gerhard Schröder mal die Legislaturperiode verkürzt hat“, beginnt Rainer Arnold launig. Seine Lebensplanung stimmt für ihn: 20 Jahre in der Politik hat er sich vorgenommen. Mit 66 Jahren hat er das Rentenalter erreicht, will aber auf jeden Fall bis zum letzten Arbeitstag die Politik „ein Stückle weit“ mitgestalten.

Er ist nachdenklich. „75 Prozent halten die Demokratie für die beste Staatsform. Ich frage mich: Was wollen die anderen 25 Prozent?“ Ganz so stabil wie Jahrzehnte geglaubt, scheint ihm die Lage nicht zu sein. „Die Demokratie muss verteidigt, aktiviert und belebt werden. Sie braucht engagierte Demokraten, die nicht nur vom Spielfeldrand zuschauen, was sich im Land tut, sondern die sich einmischen, egal an welcher Stelle.“

Auch für ihn steht außer Frage, dass die Flüchtlingskrise Ängste bei vielen Menschen mobilisiert hat. „Die Rechten versuchen, daraus Kapital zu schlagen und die Flüchtlinge für vieles verantwortlich zu machen“, sagt er und nennt Wohnraum, Sicherheit und die Frage nach der gerechten Vermögensverteilung als Stichworte. „All das war schon vor den Flüchtlingen Thema“, stellt er klar. Mit aller Kraft wollen er und die SPD sich nationalen Egoismen entgegenstellen. „Daraus ist noch nie etwas Gutes entstanden“, erinnert er an die Geschichte.

Zentrales Thema der kommenden Jahre – vor allem im Ballungsraum Stuttgart – ist für ihn das Wohnen. „Die Flüchtlinge sind zusätzliche Konkurrenz für alle. Für junge Familien mit mittlerem Einkommen ist ein Eigenheim in der Region kaum mehr finanzierbar“, gibt er zu Bedenken. Vom Bund stehen für sozialen Wohnungsbau 1,5 Milliarden Euro in diesem Jahr zur Verfügung. Rainer Arnold wünscht sich nicht nur, dass die Länder das Geld eins zu eins an die Kommunen weitergeben, sondern mit Landesmitteln aufstocken. Der Abgeordnete mahnt einen pragmatischen Umgang mit den Flächen in der Region an. Die restriktive Bodenpolitik muss seiner Ansicht nach aufgeweicht werden. Verdichtetes Wohnen soll ermöglicht werden, egal ob innerörtlich oder auf komplett neuem Areal. „Wichtig ist ein guter, sozialer Mix, damit keine Gettobildung entsteht. Am Rand können dann ruhig Einzel- oder Reihenhäuser stehen“, sagt Arnold, dem eine starke Region Stuttgart mit ihrer prosperierenden Mischung aus Weltfirmen, Mittelstand und kleineren Betrieben wichtig ist.

Von dem Spruch, „die da oben“ hält er nichts. Seit Jahren sei er mit sämtlichen Bevölkerungsgruppen im Dialog. „Die Politik darf die Ängste und Sorgen der Bürger nicht überhören“, so Arnold. Statt starker Sprüche will er sorgsam und mit kühlem Verstand abwägen, wo nachzusteuern ist, damit die Balance zwischen Sicherheitsbedürfnis, offener Gesellschaft und Privatsphäre gelingt. „Das ist viel weniger ein Gesetzesdefizit als ein Vollzugsdefizit“, sagt er und nennt als Beispiel die nicht gelingende Rückführung von Straftätern. Seine klare Forderung: 4 300 neue Stellen bei der Bundespolizei in den nächsten drei Jahren plus 15 000 neue Polizisten in den Ländern. „Das ist das Allerwichtigste. Die Landespolizei ist an der Belastungsgrenze und übernimmt an Bahnhöfen sogar Aufgaben des Bundes“, sagt Arnold. Straffällig gewordene Migranten gehören seiner Ansicht nach hinter Gittern, bis sie ausgeliefert werden – und nicht auf freien Fuß.

Prävention ist ein weiteres Stichwort. „Wir müssen wissen, was in den Moscheen gepredigt wird“, sagt er und fügt an: „Junge Männer müssen eine Perspektive haben, damit sie was zu verlieren haben, wenn sie sich nicht an unsere Ordnung halten.“ Bildung sei dabei unerlässlich für den, der in Deutschland leben will. An einem modernen Zuwanderungs- und Einwanderungsgesetz führt deshalb seiner Ansicht nach kein Weg vorbei, ebenso wenig an einem IT-System, das die Identität samt Fingerabdrücken eines jeden Einreisenden registriert. „Ein Datenabgleich muss europaweit möglich sein. Egal, wo ein Migrant aufschlägt, muss er erfasst werden. Nur mithilfe der Technik kann man Missbrauch begegnen“, ist Rainer Arnold überzeugt. Iris Häfner