Kirchheim
Die Demokratie ist widerstandsfähig

Lesung Otfried Höffe spricht in der Stadtbücherei über das Thema „Was hält die Gesellschaft noch zusammen?“ für die teils negative Stimmung macht er die unter anderem, die Medien verantwortlich. Von Ulrich Staehle

Wir leben in einer Krisenzeit. Der Klimawandel, die Corona-Pandemie, die Versorgungsengpässe, die Energiekrise und die Flüchtlingswelle durch Kriegseinwirkungen, rasant steigende Preise, die Demonstrationen von ausgewiesenen Feinden der Demokratie…Man fragt sich, ist unsere rechtsstaatliche Demokratie stark genug, diese ganzen Probleme zu bewältigen oder bricht sie auseinander?

Barbara Haiart vom Literaturbeirat Kirchheim ist es gelungen, für eine sonntägliche Matinee in der Stadtbücherei den emeritieren Philosophieprofessor und Soziologen Dr. Otfried Höffe aus Tübingen zu gewinnen. Dieser hat 2021 einen Essay veröffentlicht, der sich genau mit diesem aktuellen Thema befasst: „Was hält die Gesellschaft noch zusammen?“

Höffe folgte in seinem Referat dem Gedankengang seines Essays. Bevor er auf Staaten der Moderne zu sprechen kam, gab er einen Rückblick auf „vormoderne Gesellschaften“. Diese waren eine „politische Gemeinschaft“, zusammengehalten durch Sippen, durch eine gemeinsame Sprache, durch Arbeitsteilung, Recht und Sitte. Die Herrschaft beruhte in der Regel auf Gottes Gnaden.

Moderne Staaten zeigen meist eine fortschreitende Säkularisierung. „Das Diesseits wird, da sie eigenen Gesetzen folgt, entgöttlicht“. Dabei kommt Höffe mehrfach auf die Position eines ehemaligen Bundesverfassungsrichters namens Böckenförde zu sprechen, der in einem säkularisierten Staat die Freiheit in der Demokratie gefährdet sieht. Der Referent argumentiert dagegen mit dem Hinweis auf Aristoteles, der in seiner Staatstheorie ohne Religion auskommt. Die Stützen des Staates bilden jetzt „sittlich-politische Grundhaltungen“. Erst recht in einem modernen Staat gilt: „Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener ist“(Hegel)

Doch was bleibt dann noch an Bindemitteln für eine moderne Gesellschaft? Hier zeigt der Aufklärer Kant Möglichkeiten: „Der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ verschafft ihm die Freiheit, sich zu einem toleranten mündigen Bürger zu entwickeln. Die gewonnene Freiheit bezieht sich auch auf die Ökonomie. Höffe bilanziert: „Eine Gesellschaft, die eine facettenreiche Aufklärung agieren lässt, belohnt sich selbst, indem sie eine wohlstandsfördernde Wirtschaft, eine zunehmend offene Gesellschaft, eine wissenschaftliche und kulturelle Blüte, nicht zuletzt einen demokratischen Verfassungsstaat hervorbringt.“ Diesen demokratischen Verfassungsstaat hält er im Gegensatz zu dem „Alarmismus“ mancher Soziologen für sehr strapazierfähig. Für die aktuelle negative Stimmung in unserer Gesellschaft macht Höffe unter anderem die Medien verantwortlich. Negative Schlagzeilen erregen eine höhere Aufmerksamkeit als positive..

Zum Schluss fasst Höffe seine Ausführungen in Thesen zusammen. Die vierte These ist mit ihrem Vertrauen auf die allgemeinen Vernunft etwas riskant: „Im Zuge der Modernisierung verlieren Überlieferung und Religion an Bedeutung und die religiöse Rechtfertigung politischer Herrschaft alles Recht. Seitdem zählt in erster und letzter Instanz die allen Menschen gemeinsame Vernunft“. Das Wort des Professors in Gottes Ohr.

In einer anschließend munteren Diskussion blieb Höffe bei allem Verständnis für die Sorgen bei seinem Optimismus „Die Demokratie ist zwar nicht ungefährdet, wird aber gegen die Bedrohungen die zu deren Bewältigung erforderlichen Kräfte entfalten“.