Kirchheim
„Die Europäische Union muss dem Kreml die Stirn bieten“

Politik Moskauer Machtanspruch kollidiert mit westlichem Verständnis von Demokratie und Menschenrechten. FDP-Politikerin Renata Alt bezieht dazu Stellung. Von Helga Single

Seit 2017 vertritt Renata Alt die FDP im Deutschen Bundestag. Sie wurde in der Slowakei geboren und war 24 Jahre alt, als die Mauer fiel. Die gelernte Chemieingenieurin weiß, wie es sich anfühlt, wenn Denk- und Meinungsverbote Bürger einschränken und Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Deshalb ist es ihr ein großes Anliegen, in den sozialen Medien auf Missstände in der Ostpolitik aufmerksam zu machen.

„Den langen Arm Putins“ habe sie bereits selbst zu spüren bekommen, als eine Armee von Trollen und Bots ihre mobilen Kommunikationssysteme in ihrem Berliner Büro angegriffen hat und ihr Handy komplett lahmgelegt wurde. Nichts ging mehr. „Das sind die Kriege in der Zukunft“, ist sie sich sicher. Putin reagiere panisch auf ihre Solidaritätsbekundungen mit protestierenden Belarussen auf Facebook, Instagram und Twitter. Im russischen Fernsehsender „Russian Today“ sei sie wegen ihrer Stellungnahme zur Verurteilung von Nawalny öffentlich verunglimpft worden. „So springt man nicht mit EU-Politikerinnen und -Politikern um!“, empört sie sich.

Während des Treffens zwischen Außenminister Lawrow und dem EU-Außenbeauftragten Borrell, reagierte Moskau zeitgleich mit der Ausweisung von drei EU-Diplomaten, die an illegalen Protesten teilgenommen hätten; deutlicher könne Putin seine Verachtung und sein Desinteresse an guten Beziehungen nicht zeigen. Die Bundesregierung reagierte darauf mit der Ausweisung eines Mitarbeiters der russischen Botschaft.

Autokratische Regime funktionierten nach Meinung Alts eben nicht wie gefestigte Demokratien, wo Opposition und Machtwechsel zu den Spielregeln gehörten. Im autokratischen System werde die Führung nicht infrage gestellt, ein Machtwechsel würde staatsgefährdend sein. Also würden weiterhin zivile Organisationen wie eine Friedrich-Naumann-Stiftung geschlossen, die Opposition mundtot gemacht, weggesperrt oder aus dem Weg geräumt. „Ihre Taktik ist leugnen, zum Gegenangriff übergehen und der EU alles in die Schuhe zu schieben. Es ist eine Groteske, aber so funktioniert das eben in Russland“.

Schon im Kalten Krieg habe man Macht mit militärischer Stärke demonstriert und von inneren Problemen abgelenkt. Nawalny wirft der russischen Elite regelmäßig Korruption, Machtmissbrauch und Scheinheiligkeit vor. Während öffentlich der Westen beschimpft werde und als Bedrohung dargestellt werde, stellen die Länder der EU oder die USA insgeheim Sehnsuchtsorte und Investitionsziele für russische Privilegierte dar. Darüber berichte Nawalny in den sozialen Netzwerken, wo er ein Millionenpublikum, vor allem die junge Generation, erreiche. Rasch sei er zur Symbolfigur einer neuen demokratischen Opposition geworden.

Während sich der Kreml betont gelassen gebe und „Provokateure“ am Werk sieht, gehe der Polizeiapparat mit harter Brutalität vor. Putin sei nervös und habe Angst vor den Protesten, die Nawalny selbst aus der Haft mobilisieren könne. Renata Alt habe Nawalny auf Twitter gewarnt, zurückzukehren. Sie wollte ihn vor Repressalien schützen. Die EU habe zu lange zugeschaut. Eine schwache Nato, eine schlecht ausgerüstete Bundeswehr und eine schwache deutsche Außenpolitik hätten dafür gesorgt, dass Putin sie nicht ernst nehme. Die FDP-Politikerin sieht in einem Moratorium zum Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 ein geeignetes Mittel, Putin die Stirn zu bieten sowie in personenbezogenen Sanktionen gegen Putins Unterstützer und Oligarchen. „Nach dem Abschuss der malaysischen Airline MH 17 über der Ostukraine wurden durchaus wirksame Maßnahmen in Bereichen der Rüstung, Finanzen und Hochtechnologie ergriffen, die Russland zugesetzt haben“, sagt sie. Wenn man wolle, gehe das. Aber die EU müsse sich bewegen. Die USA als transatlantischer Bündnispartner hält sie für sehr wichtig, um sich gemeinsam international zu positionieren. Mit Joe Biden sei zum Glück ein „anderer Ton“ auf der politischen Ebene zurück.