Kirchheim

Die Hexen, eine Heilige und der 1.  Mai

Ausgelassene Feste, Bräuche und allerlei Schabernack in der Walpurgisnacht

Die Nationalsozialisten förderten Mai-Umzüge nach Kräften. Das Foto vom Mai-Umzug in KIrchheim aus dem Jahr 1933 zeigt den Wagen
Die Nationalsozialisten förderten Mai-Umzüge nach Kräften. Das Foto vom Mai-Umzug in KIrchheim aus dem Jahr 1933 zeigt den Wagen der Uhrmacher.Quelle: Stadtarchiv

Kirchheim. Schuld an allem sollen wieder mal die alten Kelten und Germanen sein. Man kann sie ja verstehen: die Winter waren saukalt, die müssen sich noch mehr

als die Menschen heute über die ersten wärmenden Sonnenstrahlen gefreut haben.

Schon vor ewigen Zeiten tanzten die Vorfahren zu Frühlingsbeginn besonders ausgelassen. Sie verbannten die Wintergeister mit Freudenfeuern und feierten fröhlich. In dieses heidnische Frühjahrstreiben geriet die Heilige Walpurgis. Fatal eigentlich, denn die Heidenheimer Äbtissin galt zu Lebzeiten als Beschützerin vor Zauberern und Hexen. Im frühen Mittelalter sprach der Papst sie vermutlich zufällig an einem 1. Mai heilig. Die Walpurgisnacht (also die Nacht davor) ist heute Synonym für wildes Hexentreiben und Schabernack. So einen richtigen „Kick“ bekam diese Nacht allerdings erst knapp 1 000 Jahre später. Goethes Faust war der Anlass dazu.

Auf dem Brocken opferten die alten Germanen ihrem Göttervater Wotan Tiere und Menschen, deshalb gilt der Berg als mystischer Ort. Erfunden hat Goethe die Geschichte nicht, er stützte sich auf alte Überlieferungen. Mit dem Mythos, dass Hexen auf Besen zum Blocksberg fliegen und dort sinnliche Tänze und allerlei Zauber ausüben, scheint der Dichter seine Anhänger zu Beginn des 19. Jahrhunderts jedoch angestachelt zu haben. Studenten und Intellektuelle fingen an, selber so geheimnisvolle wilde Partys zu feiern. Heute nehmen Hunderttausende Bus und Bahn zum großen Hexensabbat. In mehr als 20 Gemeinden im Harz steigen Trinkgelage und Fackelumzüge, überall brennen am 30. April riesige Scheiterhaufen.

Außer in dieser Mega-Party-Zone feiern ausgelassene Menschen in ganz Deutschland und Nordeuropa die Walpurgisnacht. Natürlich kommerziell bis zum geht nicht mehr ausgeschlachtet mit langen Einkaufsnächten, keltischer Musik, sagenhaftem Theater, Feuer- und anderen passenden Shows. Kirchheim hat da keine besonderen Traditionen. Aber der „Tanz in den Mai“ ist rund um die Teck immer noch beliebt bei Partygängern und Nachtschwärmern jeden Alters. Trotz des manchmal „dicken Kopfes“ wird am nächsten Tag dann klaglos gewandert, meist in fröhlichen Grüppchen, bei gutem Wetter mit Grillgut im Rucksack.

Mit Peitschenknallen, Hexenbesen und frisch geschlagenen Birken oder Tannen schützten die Bauern früher Haus und Hof. Der Maibaum mit seiner hoch aufgereckten Spitze gilt als uraltes heidnisches Fruchtbarkeitssymbol, das auch noch hübsch aussieht. Schon in den 30er-Jahren zierte in Kirchheim ein Maibaum das Stadtbild, zum Beispiel am Rossmarkt oder vor der alten Alleenschule. Seit über 40 Jahren stellt der Trachtenverein stets ein prächtiges Exemplar auf den Marktplatz. Die umliegenden Gemeinden und Stadtteile freuen sich zum Teil über ihre eigenen Maibäume in der Ortsmitte. Der kleine Bruder des großen Maibaums ist der „Maien“, den der verliebte Gockel früher seiner Angebeteten in den Vorgarten stellte. Zur Belohnung kriegte er dann Ende Mai ein Vesper und (bei Gefallen) einen Kuss.

Früher hängten Spaßvögel Gartentüren aus und klauten Mülleimer, die fand der Eigentümer dann unbeschädigt ein paar Straßen weiter. In manchen Regionen war das Hochhieven von Schubkarren auf Bäume geradezu Kult. Nicht ganz so harmlos und langweilig war das Aufstapeln von Holz vor irgendwelchen Türen oder das Querstellen von Autos in der Hofeinfahrt, hatten die Eigentümer am nächsten Tag doch meistens ziemlich „G’schieß“ damit. Heutzutage ist Mumientechnik mit Klopapier in Mode, Hobby-Sprayer sind unterwegs, Senf- und Ketchup schmieren andere an alle möglichen Stellen.