Kirchheim

Die kindliche Freude einer 68-Jährigen

Konzert Jazz-Altmeisterin Aki Takase spielt alte und neue Kompositionen in der Bastion – als Tama Trio, gemeinsam mit Jan Roder und Oliver Steidle. Von Ana-Marija Bilandzija

Die kindliche Freude einer 68-Jährigen
Die kindliche Freude einer 68-Jährigen

Aki Takase betritt die Bühne der Bastion und nimmt sofort den Raum ein. Ihr Sweatshirt streift sie ab, legt es auf den Klavierhocker und setzt sich darauf. Hinter ihr stimmt Bassist Jan Roder ein paar Töne auf dem Cello ein, grinst selig zu Takase hinüber.

Die legt ihre zarten Hände auf die Tasten und läutet damit einen Abend im Zeichen der kontrollierten Anarchie des Free Jazz ein.

Als Tama-Trio verwischen Aki Takase am Klavier, Jan Roder am Cello und Oliver Steidle am Schlagzeug die Grenzen von Komposition und Improvisation; ihr Besuch in der Bastion ist eine kleine Sensation, möglich gemacht hat den Auftritt Kultur in Kirchheim.

Im ärmellosen schwarzen Kleid sitzt Takase am Piano; ihre Lippen sind in Rot getaucht, um die Ohren baumeln bunte Scheiben. Nach ein paar Minuten Spiel sieht man ihr eine Art kindliche Freude an: Takase, 68, singt die Melodie mit, ihr Haar wippt in einem lockeren Dutt im Takt. Seit über 30 Jahren spielt und komponiert die Wahlberlinerin nun schon, und ihr Credo lautet: nie langweilig werden, sich immer neu erfinden.

Aki Takase folgte 1981 dem Ruf des Berliner Jazzfests. Sie hat sich in die Stadt und die Jazzszene der Hauptstadt verliebt und ist geblieben. Takase, die in Osaka, Japan, geboren ist und in Tokio Musik studiert hat, gilt als eine der wichtigsten deutschen Vertreterinnen des Free Jazz. Ihre Karriere krönen sieben Preise der Deutschen Schallplattenkritik, darunter der Kritikerpreis der Berliner Zeitung und der SWR Jazzpreis. Am liebsten improvisiert Takase im Team – sie stand schon mit David Murray, Maria Joao, Joe Handerson und anderen bekannten Jazzmusikern auf der Bühne. Das Tama-Trio fand in Berlin zueinander. Jan Roder und Oliver Steidle sind mindestens genauso guter Laune wie Aki Takase.

Man sieht den Musikern an, dass sie nach dem einen oder anderen Solo beeindruckt sind von den Kollegen – beeindruckt davon, was der Zufall und das Zulassen desselben an Klängen hervorbringen können. Auch optisch geben sie die Drei ein interessantes Bild ab: Roder trägt violett-schimmernde Schnürschuhe zur Hose mit Nadelstreifen, Steidle kombiniert Karohemd zu Turnschuhen und Jeans. An diesem Abend spielen sie vor nur etwa dreißig Menschen, aber aus tiefer Verbundenheit, wie Takase betont: „Michael vom Team der Bastion und ich haben schon vor 20 Jahren über diese Idee gesprochen.“

Es ist Takases 40. Auftritt in diesem Jahr, von insgesamt 57 geplanten Konzerten. In wechselnden Konstellationen reist die Komponistin um die Welt: heute Oslo, morgen Tokio, übermorgen Davos. Der Name des Trios „Tama“ ist japanisch und bedeutet Ball. Ein Blick auf Steidles Drumset offenbart: Tama, so heißt auch der Hersteller seines Instruments.

Auf die Magie von Worten setzt Tama auch an anderen Stellen: Goldfish, so einer der Titel, die sie an diesem Abend anstimmen, steht in Japan für viel mehr als ein Haustier, das belanglos im Aquarium schwimmt. Goldfische, das erzählt Takase, stehen in ihrer Heimat für Reichtum und Erfolg – im späten 19.  Jahrhundert zählte es unter neureichen Japanern zum guten Ton, sich Goldfische zu halten.

Der Jazz von Tama hat Platz für Lyrik und ungewöhnliche Spielereien: Steidle bespielt sein Instrument nicht nur mit Drumsticks, sondern streift auch mal eine silberne Kette über das Instrument, klimpert mit kleinem Glockenspiel und kratzt mit einem Bund Muscheln Töne hervor. In seiner Unberechenbarkeit könnte das Spiel der drei Vollblut-Jazzer als planlos empfunden werden. Dabei ist es ein durchaus diszipliniertes Sich-Treiben-Lassen, das an diesem Abend stattfindet. Durch Akzente aus allen Richtungen schaffen Takase, Roder und Steidle ein intensives Gefühl für Räumlichkeit und Atmosphäre. Mal gleitet Takase sanft über die Tasten und schafft mit dem rechten Pedal weiche Übergänge, im nächsten Moment feuert sie harsche Akkorde in ihr Instrument.

Je weniger Melodie, desto mehr Energie entfalten Takase, Roder und Steidle. Und desto öfter sieht man sie ob der Kollegen Spiel grinsen – was allen dreien gut zu Gesicht steht.