Der Rems-Murr-Kreis hat Ende März den Anfang gemacht, in Schwäbisch Hall und im Ostalbkreis zog man im April nach. In der letzten Maiwoche beginnt auch der Kreis Esslingen mit der Registrierung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, die bisher noch nicht polizeilich erfasst worden sind. Die gemeinsame Aktion von Polizei, Jugendämtern und Ausländerbehörden läuft landesweit. Im Stuttgarter Innenministerium hofft man nun, die letzte Datenlücke zu schließen, die spätestens nach dem Mord an einer Freiburger Studentin im Oktober vergangenen Jahres als Sicherheitslücke galt. Der inzwischen angeklagte Verdächtige war als minderjähriger Flüchtling nach Deutschland eingereist und, wie sich später herausstellte, bereits zuvor straffällig geworden. Er war erkennungsdienstlich nicht erfasst.
Die jetzige Maßnahme folgt keinem Generalverdacht, sie holt lediglich Versäumtes nach, wie Ronald Krötz, Polizeisprecher des Präsidiums in Aalen betont. Die dortigen Beamten sind auch für den Rems-Murr-Kreis zuständig und waren landesweit die ersten, die aktiv wurden. An nur zwei Tagen registrierten sie in Waiblingen mit Unterstützung des Landeskriminalamts (LKA) 103 Jugendliche, machten Fotos, nahmen Fingerabdrücke und prüften persönliche Dokumente auf Echtheit. Nur neun der Vorgeladenen erschienen nicht. Den Fällen werde in Zusammenarbeit mit den Ausländerbehörden nachgegangen, sagt Krötz, der die Aktion als „völlig unproblematisch und gelungen“ beschreibt.
Sogenannte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge genießen besonderen Schutz. Sie fallen in die Zuständigkeit der Jugendämter und sind von der Pflicht, einen Asylantrag zu stellen, befreit. Inzwischen werden zwar auch Minderjährige bei ihrer Einreise von Polizei und Registrierungsstellen des Bundesamtes erfasst. Ende 2015, als die Flüchtlingswelle ihren Höhepunkt erreichte, waren beide Stellen allerdings völlig überlastet. Um diejenigen, die damals durch das Raster fielen, geht es jetzt.
Im Kreis Esslingen waren Ende April 366 minderjährige Flüchtlinge untergebracht. Die Zahl ist seit vergangenen Herbst leicht gesunken. Die meisten davon leben in Wohngruppen der drei größten Jugendhilfeeinrichtungen in Esslingen, Neuhausen und der Stiftung Tragwerk in Kirchheim. 32 von ihnen sind privat in Gastfamilien untergebracht. Wie viele im Kreis bisher noch in keiner polizeilichen Datenbank auftauchen, wird zur Stunde durch das Landeskriminalamt ermittelt. Im Esslinger Landratsamt hat man seine Hausaufgaben längst erledigt. „Wir haben dem LKA am 13. März alle Daten gemeldet“, sagt Thomas Eisenmann, Flüchtlings-Koordinator im Landratsamt. „Seitdem warten wir auf Nachricht.“
Die kommt jetzt aus Reutlingen. Die Beamten im dortigen Polizeipräsidium, das auch für den Landkreis Esslingen zuständig ist, werden in der letzten Maiwoche an die Arbeit gehen. „Wo und wie genau wird derzeit noch geklärt“, sagt Polizeisprecher Josef Hönes. Die Aktion in Waiblingen dürfte dabei als Muster dienen. Dort war man gut vorbereitet an den Start gegangen. Behörden, Sozialarbeiter, Presse - alle waren mit im Boot. „Uns war wichtig, deutlich zu machen, dass dies keine strafrechtliche Maßnahme ist“, sagt Ronald Krötz. „Viele minderjährige Flüchtlinge sind traumatisiert und haben in ihrer Heimat Erfahrungen mit Polizeigewalt. So etwas muss man bei einer solchen Aktion berücksichtigen.“