Kirchheim

„Die Leute haben oft sehr vielfältige Kompetenzen“

Interview Nesrin Abdullah hilft Flüchtlingen im Kreis, einen Weg ins Berufsleben zu finden.

„Kümmerin“ Nesrin Abdullah
„Kümmerin“ Nesrin Abdullah

Nesrin Abdullah ist seit Mitte März als sogenannte „Kümmerin“ des Landkreises mit der Vermittlung von Flüchtlingen in Praktika und Ausbildung beschäftigt. Die 32-Jährige stammt aus dem Libanon, hat in Tübingen studiert und kam im Alter von sechs Jahren mit ihrer Familie selbst als Flüchtling nach Deutschland. Ihr Arbeitsplatz in der IHK-Geschäftsstelle in Esslingen ist für Zuwanderer auf dem Weg ins Berufsleben die erste Anlaufstelle.

Frau Abdullah, wie groß ist die Bereitschaft in Betrieben, Flüchtlinge auszubilden?

Nesrin Abdullah: Das Interesse ist grundsätzlich vorhanden. Das Hauptproblem ist, dass die meisten Unternehmen dabei Neuland betreten. Eine meiner wichtigsten Aufgaben ist es deshalb, den Betrieben klarzumachen, dass sie bei dieser Aufgabe nicht allein sind, und wir sie dabei unterstützen.

Wie läuft die Vermittlung ab?

Abdullah: Ich prüfe die Bewerber, die zu mir kommen, auf ihre Eignung. Dabei geht es um berufliche und schulische Qualifikation, um Sprachkenntnisse, aber auch um den Aufenthaltsstatus. Danach muss beurteilt werden, kommt eine Ausbildung, Einstiegsqualifizierung oder ein Praktikum infrage und wenn ja, welches. Danach gehe ich auf geeignete Betriebe zu.

Und wie finden Sie die?

Abdullah: Hier im Haus sind die Wege kurz. Deshalb habe ich meinen Arbeitsplatz nicht im Landratsamt, sondern hier in der IHK-Zentrale. Ich spreche mit den Kollegen, die sehr genau wissen, welche Betriebe dem Thema offener gegenüberstehen und welche nicht. Das ist alles natürlich auch eine Frage von Erfahrung und keine Garantie, dass man den richtigen am Ende auch findet.

Was sind die häufigsten Probleme, die bei der Vermittlung auftreten?

Abdullah: Bei Bewerbern, mit denen ich zu tun hatte, sind bisher keine Probleme aufgetreten, die nur Flüchtlinge hätten. Wichtig ist, dass beide Seiten wissen, dass es größerer Anstrengung bedarf als in einem normalen Verfahren. Für unsere Teilnehmer ist vieles neu, sie bewegen sich nicht in ihrer Muttersprache. Betriebe dagegen sollten darauf achten, dass die Auszubildenden nicht auf sich alleine gestellt sind. Das heißt, sie müssen schauen, ob Mentoren oder Paten als Begleitung sinnvoll sind. Es gibt aber auch viele Bewerber, die das nicht brauchen.

Wie motiviert sind die Bewerber, die zu Ihnen kommen?

Abdullah: Sehr motiviert. Manchmal übermotiviert. Die Leute kommen ja freiwillig zu mir. Die wissen genau, was sie wollen. Seit Herbst kommen vermehrt sehr junge Bewerber mit Abitur-ähnlichem Schulabschluss. Ihnen muss man erst klarmachen, dass eine duale Ausbildung als Einstieg sinnvoller sein kann als gleich ein Studium.

Was müsste aus Ihrer Sicht verbessert werden, was würde Ihnen die Arbeit erleichtern?

Abdullah: Es gibt kein flächendeckendes Verfahren, um Kompetenzen festzustellen. Ein Instrument, das ein zielgerichtetes Urteil erlaubt. Die einzige Möglichkeit, dies festzustellen, sind Praktika. Die Leute, die zu mir kommen, haben oft vielfältige Kompetenzen, die meiner persönlichen Einschätzung unterliegen. Wenn ich Personen beurteile, geht es neben ihrer fachlichen Qualifikation oft um einfache Dinge. Wie zügig beantwortet jemand beispielsweise meine Mails, oder wie vollständig sind die Unterlagen, die er einreicht.

Was ist mit älteren Bewerbern?

Abdullah: Für Menschen, die in ihrer Heimat im Berufsleben standen, ist es besonders schwierig. Sie haben oft Existenzen aufgegeben und müssen nun völlig neu anfangen. Ihnen muss man klarmachen, dass wir ihnen Orientierung bieten und sie unterstützen können.

Ihre Stelle ist bis Ende 2017 befristet. Rechnen Sie damit, dass es danach weitergeht?

Abdullah: Das wäre wünschenswert. Die Integrationsarbeit beginnt ja jetzt erst.Bernd Köble