Kirchheim

Die Natur tobt

Klimawandel Das Klima verändert sich rasant und mit ihm die Bedingungen für die Landwirtschaft. Land- und Forstwirte müssen sich darauf einstellen und neue Einnahmequellen suchen – etwa im Tourismus. Von Philip Sandrock

Über den Feldern der Region brauen sich ungemütliche Zeiten zusammen.Foto: Carsten Riedl
Symbolfoto: Carsten Riedl

Die Obsternte in der Region ist vielerorts ein Totalausfall, die Weingärtner hoffen darauf, dass sie wenigstens die Hälfte ihrer durchschnittlichen Erntemenge von den Reben lesen können - extreme Wetterlagen im Frühjahr haben manchem Landwirt einen Strich durch die Rechnung gemacht. Experten sagen: Das sind Auswirkungen des Klimawandels. Solche Vorfälle sind zwar nichts Neues - aber die Häufigkeit und Heftigkeit nimmt zu, wie Otmar Braune, Klimaschutzexperte beim BUND, erklärt. Der Klimawandel ist messbar: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts sei der CO2-Gehalt in der Atmosphäre von 280 ppm (Parts per Million) auf 400 ppm im Jahr 2015 gestiegen.

Wissenschaftler sehen einen Zusammenhang zwischen der CO2-Konzentration und der Erwärmung der Erdatmosphäre. Die ist auch in der Region messbar: „Im Hofgut Tachenhausen liegt die Durchschnittstemperatur 1,6 Grad über dem langjährigen Durchschnittswert“, sagt Professorin Maria Müller-Lindenlauf von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU). An der Nürtinger Hochschule beschäftigt man sich auch mit den Folgen des Klimawandels auf die Landwirtschaft.

Das Karlsruher Institut für Technologie hat regionale Klimamodelle für Baden-Württemberg aufgestellt. „Die Modellrechnungen zeigen, wie sich das Klima verändern wird“, sagt Müller-Lindenlauf. Durch steigende Durchschnittstemperatur rechnen die Wissenschaftler damit, dass Pflanzen früher austreiben, wie etwa in diesem Frühjahr. Durch den warmen März hätte die Obstblüte früher eingesetzt als sonst. Die Frostnächte im April hätten den Bäumen zugesetzt.

Beobachtungen, die auch Roland Bauer, Kreisökologe im Landratsamt Esslingen, gemacht hat: In manchen Gegenden seien die Bäume ohne Früchte, so Bauer. Mit extremen Temperaturschwankungen müsse künftig öfter gerechnet werden. Deshalb müsse man auf Regionen schauen, die bereits jetzt häufiger Nachtfrösten in der Blütezeit ausgesetzt seien. Dort würden Obstbauern ihre Pflanzen mit Wasser besprühen. Die Eisschicht, die sich bildet, erzeugt eine Schutzschicht und sichert den Ertrag.

Auch die HfWU-Professorin ist sich sicher, dass man den Folgen des Klimawandels nur begegnen kann, indem man sich den Wetterphänomenen und der höheren Durchschnittstemperatur anpasst. „Es wird häufiger Starkregen oder Dürreperioden geben“, sagt Müller-Lindenlauf. Außerdem rechnet die Professorin mit einer Zunahme von Sturm- und Hagelschäden.

Hagel könnte man im Intensiv-Obstbau mit Schutznetzen, der Gefahr durch Dürren mit Bewässerung begegnen, sagt die Wissenschaftlerin. Man könne das Risiko von Ernteausfällen auch absichern, indem man auf Höchsterträge setze und Rücklagen bilde. Damit könnten Landwirte ein schlechtes Jahr überbrücken. Alternativ könnten sie sich zusätzliche Einnahmequellen sichern - etwa im Tourismus.

Auf dem Hofgut Tachenhausen erprobt die HfWU neue Anbautechniken und -verfahren. „Bisher galt der Grundsatz: Eine bessere Technik sorgt für höheren Ertrag“, sagt Müller-Lindenlauf. Doch seit einiger Zeit stellen die Landwirte und Wissenschaftler dort fest, dass trotz besserer Technik der Ertrag nicht mehr steige. Die Schäden durch die Witterung lassen den Mehrertrag wieder schrumpfen.

Durch die Verschiebung der Klimazonen könnten sich hier Tiere ausbreiten, denen es vorher zu kalt war, sagt Kreisökologe Bauer. Im Rekordsommer 2003 hatten sich Gottesanbeterinnen, eine Heuschreckenart, vom Oberrheintal bis an den Neckar ausgebreitet. Eigentlich sei das Klima für die wärmeliebenden Tiere hier zu rau. Trotzdem habe eine Kolonie in den Esslinger Weinbergen überlebt.

Bereits vor Jahrzehnten sei die Mauereidechse, vermutlich mit Zügen, aus Oberitalien ins Stuttgarter Bahnhofsgelände eingeschleppt worden. Das Tier stammt aus dem Mittelmeerraum, fühlte sich aber in den Gleisanlagen pudelwohl. Nach jüngsten Untersuchungen ist es bis Plochingen gewandert. Wenn die Temperaturen weiter steigen, könnte die Echse an der Schwäbischen Alb heimisch werden.