Kirchheim
„Die Schule sollte auch aufs Leben vorbereiten“

Lernen Die Idee, Alltagswissen zu unterrichten, stößt auf Interesse bei Politik und Schulamt. Von Bianca Lütz-Holoch

Alltagswissen in der Schule unterrichten – diese Idee stößt im Schulamt und bei den Landtagsabgeordneten auf offene Ohren. Allerdings gibt es auch Einwände und Diskussionsbedarf, was ein ganz neues Fach, die Einbindung externer Experten in den Unterricht und die Aufgabenverteilung zwischen Schule und Eltern angeht.

„Die Idee ist gut, und grundsätzlich stimme ich der Zielsetzung zu, dass Schule praktisches Alltagswissen vermitteln muss“, sagt der Kirchheimer Grünen-Landtagsabgeordnete Andreas Schwarz. „Gleichwohl ist die Vermittlung von Alltagswissen nicht nur öffentliche Aufgabe, sondern auch Familienaufgabe.“ Um junge Menschen auf die Herausforderungen einer immer komplexer werdenden Welt vorzubereiten, habe das Land bereits das Schulfach „Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung“ eingeführt. „Da werden auch solche Dinge vermittelt“, sagt er, etwa zum Thema Steuer, Versicherungen und Kredite. Auch externe Experten kann sich der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag vorstellen. „Die Verantwortung müsste aber bei den Lehrerinnen und Lehrern bleiben“, betont er und gibt zu bedenken: „Solche Spezialisten haben ja meist keine pädagogische Ausbildung – und sie vertreten bestimmte Interessen.“

Das Fächerangebot neu denken

„Ganzheitliche Bildung beinhaltet für mich auch Alltagswissen“, sagt Dr. Natalie Pfau-Weller, Landtagsabgeordnete der CDU. „Insofern würde ich es begrüßen, wenn das Fächerangebot an Schulen erweitert werden könnte, um Schülern Dinge beizubringen, die für ihr praktisches Leben wichtig sind.“ Geprüft werden müsse allerdings, ob es bei der Zahl der Unterrichtsstunden überhaupt noch Spielraum für neue Fächer gibt. „Eine sich rasant ändernde Lebens- und Arbeitswelt macht es vielleicht notwendig, das Fächerangebot insgesamt neu zu denken“, so die Kirchheimer Abgeordnete. Denn auch politische, kulturelle und wirtschaftliche Bildung tragen aus ihrer Sicht zur Integration in die Gesellschaft und zur Bildung der Persönlichkeit bei. „Ziel muss es sein, eine solide Allgemeinbildung, Orientierung und Urteilskraft zu vermitteln“, so Natalie Pfau-Weller. 

„Die Schule führt zu vielem – aber nicht immer zu Alltagswissen“, sagt der Kirchheimer SPD-Landtagsabgeordnete Andreas Kenner. Den Vorschlag der Bildungsmanager, mehr Alltagswissen und Lebenskompetenz an die Schulen zu holen, findet er gut. „Die Schule sollte auch aufs Leben vorbereiten“, betont er. Besonders wichtig ist es aus seiner Sicht ein Grundverständnis für finanziellen Fragen. „Viele junge Leute sind verschuldet, weil sie nicht mit Geld umgehen können, sich auf Leasing und Ratenzahlungen einlassen“, weiß der Abgeordnete, der Mitglied der Landesarmutskonferenz ist. Mit dem Gedanken, Experten zu engagieren, kann er sich anfreunden. „Das wäre auch eine Chance für den Ganztagsbereich“, sagt er. Er könnte sich neben Steuer, Mietverträgen und Krediten aber noch jede Menge andere Themen für den Bereich Lebenskompetenz vorstellen: „Zum Beispiel: Wie organisiere ich eine Veranstaltung, wann muss ich Gema-Gebühren zahlen oder wie gestalte ich einen Garten mit Wildblumen und Bienenvölkern?“

Das Wichtigste: Verlässlichkeit

„Die Grundidee, Alltagswissen in der Schule zu vermitteln, ist sehr sinnvoll – und sie wird ja auch schon praktiziert“, sagt Dr. Corina Schimitzek, Leiterin des Staatlichen Schulamts Nürtingen, und weist auf die Kooperation mit der Bildungsstiftung der Kreissparkasse für den Landkreis Esslingen hin. „Bei Wissen zum Thema Kredite, Girokonto und Neue Medien arbeiten wir zusammen“, informiert sie. Offen für Veränderungen ist sie trotzdem. „Warum nicht mal klein in ein neues Projekt einsteigen?“, zeigt sie sich bereit für weitere Kooperationen. Allerdings gibt es Bedingungen: „Das Wichtigste für Schulen ist das Thema Verlässlichkeit.“ Die Kooperationspartner müssten beispielsweise bei Ausfällen oder im Krankheitsfall eigenständig für Vertretungen sorgen. Auch die Einbeziehung der jeweiligen Lehrkräfte hält Corina Schimitzek für wichtig. „Dann kann das Gelernte in anderen Zusammenhängen didaktisch aufgegriffen werden.“