Kirchheim

„Die Tafeln darf es eigentlich nicht geben“

Armut Nach den Problemen in Essen treten nun die Tafeln im Kreis Esslingen an die Öffentlichkeit. Es geht ihnen gut. Doch sie wollen sich abschaffen. Von Ruben Moratz

Die Tafeln bieten Lebensmittel für Bedürftige günstig an. Im Kirchheimer Laden sind rund 60 Prozent der Kunden Migranten, 35 Pro
Die Tafeln bieten Lebensmittel für Bedürftige günstig an. Im Kirchheimer Laden sind rund 60 Prozent der Kunden Migranten, 35 Prozent sogar Geflüchtete.Foto: Carsten Riedl

Auf Jens Spahn ist Eberhard Haußmann derzeit nicht gut zu sprechen. Der neue Gesundheitsminister hatte kürzlich gesagt, dass das Beziehen von Hartz IV nicht Armut bedeute. Vielmehr sei Hartz IV die Antwort des Sozialstaats auf Armut. Haußmann, der Geschäftsführer des Kreisdiakonieverbands im Landkreis Esslingen (KDV), findet diese Aussage unmöglich: „Mir wäre es lieber, wenn Herr Spahn ein paar Lösungsansätze präsentieren würde. Er laviert sich auf Kosten der Ärmsten in die Schlagzeilen.“

Der KDV betreibt drei Tafelläden im Kreis, in Filderstadt, Ostfildern und Echterdingen. Die weiteren im Landkreis werden von der Caritas (Esslingen und Nürtingen) sowie vom Deutschen Roten Kreuz (Kirchheim) geführt. „Niemand müsste in Deutschland hungern, wenn es die Tafeln nicht gäbe“, hatte Spahn über das Projekt gesagt. Wenn man dem Prinzip der Nachfrage folgt, kann diese Aussage rasch widerlegt werden. Klaus Rau vom DRK-Kreisverband Nürtingen-Kirchheim hält mit Blick auf die Kirchheimer Tafel fest: „Wir haben zu wenig Waren für zu viele Kunden.“ Das liegt daran, dass die Supermärkte in den vergangenen Jahren dazu übergegangen sind, die Regale nicht mehr bis kurz vor Ladenschluss aufzufüllen. So fällt weniger an, was die Tafeln dann bekommen und weitergeben können.

Ungünstige Lage in Kirchheim

Die Kirchheimer Tafel verzeichnet etwa 780 Einkäufe pro Monat, und das bei rund 560 Kunden. Einen Tafelausweis bekommt jeder, der von Hartz IV, Grundsicherung, Sozialhilfe oder einem Einkommen von unter 700 Euro leben muss. Sie dürfen dann dienstags, donnerstags oder freitags in dem kleinen Laden in der Henriettenstraße einkaufen, im Untergeschoss des Technischen Hilfswerks. „Über die Raumsituation sind wir nicht glücklich“, sagt Rau. Der Laden sei viel zu klein, die Kunden müssen gestaffelt hineingelassen werden. Außerdem ist der Standort im Industriegebiet ungünstig. Näher am Zentrum und mit besserer Verkehrsanbindung - so stellt es sich Klaus Rau vor. Viele Kunden haben Probleme, zum Laden zu gelangen. Von denen, die in den umliegenden Dörfern wohnen, ganz zu schweigen. „Mit den Öffentlichen von Lenningen nach Kirchheim zu fahren, kostet 5,60 Euro. Das kann sich kein Hartz IV-Empfänger leisten“, weiß Haußmann. Hier sei die Politik gefragt: Man brauche dringend ein günstiges Sozialticket.

Probleme mit Flüchtlingen?

Für Schlagzeilen sorgte die Essener Tafel. Sie verhängte zeitweise einen Aufnahmestopp für Menschen ohne deutschen Pass. Der Grund lautete: Immer mehr Geflüchtete nutzen das Angebot und verdrängen Einheimische. Ersteres können die Verantwortlichen der Tafelläden im Kreis Esslingen bestätigen: „Den höheren Andrang durch Flüchtlinge haben wir deutlich gemerkt“, so Rau über den Kirchheimer Laden. Ernste Probleme habe es aber nie gegeben. „Mittlerweile hat sich das eingespielt. Wir haben wieder Normalbetrieb, nur eben mit mehr Leuten.“ Rund 35 Prozent der Kunden seien nun Geflüchtete. Die Menge der Ware ist seit dem Zustrom aber in etwa gleich geblieben. In Essen wurde von jungen arabisch sprechenden Männern berichtet, die sich in der Reihe vor alte deutsche Frauen drängeln. Die Tafeln im Kreis Esslingen machen andere Erfahrungen. Viele Flüchtlinge seien sehr hilfsbereit und bitten Ältere sogar nach vorne. Eine „Handvoll Rowdys“ gab es aber auch hier, sagt Tanja Herbrick, die den Tafelladen in Filderstadt leitet. Doch da helfen klare Ansagen: Die Tafeln geben allen gleich viel - egal, ob als Erster oder Letzter in der Reihe. Wer das weiß, drängelt auch nicht mehr. Haußmann vermutet, dass es in Essen organisatorische Schwierigkeiten gab. Immerhin seien dort mehr Ehrenamtliche tätig. Die Tafeln im Kreis Esslingen werden vorwiegend von Hauptamtlichen betrieben.

Neben dem Sozialticket wünschen sich die Tafel-Verantwortlichen von der Politik langfristig nur eines: Dass die Tafeln überflüssig werden. „Die Tafeln darf es eigentlich nicht geben“, sagt Haußmann. Weil das aber nicht in Aussicht ist, hilft die Politik zumindest bei der Symptombekämpfung. Seit drei Jahren bezuschusst der Landkreis die Tafeln, die nur durch Spenden bestehen können, jährlich mit 9 000 Euro.