Kirchheim

„Die Vernunft darf keinen Urlaub machen“

Politik Matthias Gastel spricht über Corona, Mallorca, Stuttgart 21 und die Mehrwertsteuer.

Matthias Gastel, Grüne
Matthias Gastel

Kreis. Matthias Gastel will sich auch im kommenden Jahr wieder für den Bundestag aufstellen lassen. Und wenn es nach dem Bahn- und Verkehrsexperten von Bündnis90/Die Grünen geht, sollte dieser Bundestag deutlich kleiner als der aktuelle sein. „Die Notwendigkeit einer Wahlrechtsreform ist seit 2013 bekannt, denn das Parlament soll nicht weiter aufgebläht werden“, sagt er im Rahmen seiner Halbjahres-Pressekonferenz, die dieses Mal per Videokonferenz stattfindet. Der Gesetzentwurf der Opposition im Bundestag, darunter auch von den Grünen, sah eine deutliche Reduzierung der Wahlkreise vor. „Die Abstimmung wurde jedoch verhindert“, klagt er.

Ansonsten hatte er für die große Koalition auch lobende Worte, vor allem für ihre bisherige Politik während der Corona-Krise. Ein „Gespür für Erfordernisse“ und gleichzeitig für die „Freiheitsbedürfnisse der Bevölkerung“ habe Deutschland bewiesen und sei damit bisher besser durch die Krise als viele andere Länder gekommen, meint der 49-Jährige. So sei die Rate der an den Folgen einer Corona-Infektion gestorbenen Menschen in Schweden fünf Mal höher als in Deutschland. „Dort hat man auf viele Einschränkungen verzichtet. Aber dennoch gibt es dort auch ähnliche wirtschaftliche Probleme wie bei uns“, sagt Matthias Gastel. Das zeige in Bezug auf die wirtschaftlichen: „Corona ist kein nationales Problem sondern ein internationales, da die meisten Lieferketten zusammenhängen.“ Die Kurzarbeiterregelungen findet er richtig, die Senkung der Mehrwertsteuer hingegen überhaupt nicht. „Sie verursacht hohe Kosten und viel Bürokratie, ist dabei aber nicht besonders effizient“, sagt er. Für den Bundestagsabgeordneten der Grünen ist die Maßnahme „unverhältnismäßg.“

Nun hofft auch Matthias Gastel, dass die berüchtigte zweite Corona-Welle ausbleibt. Heftige Kritik übt er an dem Verhalten deutscher Touristen auf Mallorcas Partymeile am Ballermann. „Da wird einem Angst und Bange. Das Virus macht keinen Urlaub, da darf auch die Vernunft keinen Urlaub machen“, sagt er.

Das ließe sich auch zu den Krawallen in Stuttgart sagen, zu denen sich der gebürtige Stuttgarter ebenfalls einlässt. Die Gewalt sei kein Event, sondern ein Verbrechen, betont er. „Ich freue mich, wenn ich sehe, dass Verdächtige verhaftet werden sind.“ Erhöhte Polizeipräsenz und schnelle Konsequenzen seien wichtig. Aber gleichzeitig müsse man auch die Gründe suchen, warum der Respekt vor er Polizei nachgelassen habe. Gastel scheut sich nicht, das heiße Eisen Integration anzufassen. Es gehe auch darum, Menschen aus anderen Kulturen in die Pflicht zu nehmen, Institutionen anzuerkennen. Das habe auch Konsequenzen für die Integrationsarbeit, die wirksamer werden müsse. Generell dürfe die Herkunft der Eltern zu ermitteln aber kein Standard werden, sondern müsse begründet sein, vor allem bei deutschen Staatsbürgern. „Es gibt keine Deutschen zweiter Klasse“, betont er.

Schließlich kommt er zu seinem Spezialthema Bahn und zieht zur Veranschaulichung einen Vergleich: 2019 wurden 233 Kilometer neue Fahrbahnen für Autos gebaut, gegenüber neun Kilometer Schiene. „Wir werden niemals die Klimaziele erreichen, wenn in diesem Tempo weitergebaut wird“, ist er überzeugt. Gastel fordert eine zweite Bahnreform. „Es ist grotesk, dass der Betreiber einer Infrastruktur Gewinne erzielen muss.“ Dazu gehöre auch, das in den 90er-Jahren geplante Projekt Stuttgart 21 an die Gegenwart anzupassen: „Acht Gleise sind zu wenig“, sagt er. Es brauche eine Ergänzung für den Bahnhof, und zwar ebenfalls unterirdisch. Aus gutem Grund: „Die städtebaulichen Interessen der Stadt Stuttgart dürfen nicht in Frage gestellt werden.“ Thomas Zapp