Kirchheim
Diese „Werkstatt“ macht Geschichte lebendig

Projekt Stadtarchivar Frank Bauer leitet Schülerinnen und Schüler bei der Forschung über Straßennamen in Kirchheim an und vermittelt ihnen dadurch, wie Geschichte in die Gegenwart hineinwirkt. Von Andreas Volz

Geschichte? Für viele nur ein langweiliges Schulfach. Ein Archiv? Genauso langweilig und außerdem total verstaubt. Das sind die typischen Vorurteile, mit denen Historiker und Archivare zu kämpfen haben. Kirchheims Stadtarchivar Frank Bauer möchte dem entgegenwirken, indem er zeigt, dass Geschichte spannend und lebendig ist und dass sie zudem eine bedeutende Rolle für die Gegenwart spielt. Straßennamen sind da ein guter Anknüpfungspunkt. Die Geschichtswerkstatt, die das Archiv jetzt für Kirchheimer Schüler anbietet, befasst sich deshalb zunächst mit Straßennamen – und zwar mit solchen, die typisch für Kirchheim sind und nicht unbedingt in jeder Stadt auftauchen.

Beim Eugen-Gerstenmaier-Platz oder bei der Friedrich-Tritschler-Straße ist der Fall eindeutig: In beiden Fällen standen gebürtige Kirchheimer Pate für die Benennung von Platz oder Straße – der ehemalige Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier ebenso wie der 1848er-Revolutionär Friedrich Tritschler. Im Gegensatz zu Schiller, Goethe oder Beethoven dürfte aber nicht jedem, der ein Straßenschild mit den Namen Gerstenmaier oder Tritschler sieht, klar sein, auf wenn sich der Name bezieht. Langfristig ist deshalb daran gedacht, Straßennamen in Kirchheim zu erklären, direkt unterhalb der Schilder – und dazu auch noch im Internet.

Schüler sollen die Namen erklären

An dieser Stelle kommen die Schulen ins Spiel: Interessierte Schülerinnen und Schüler sind aufgefordert, sich der Geschichtswerkstatt anzuschließen, die sich alle 14 Tage freitags um 17.30 Uhr im Kirchheimer Stadtarchiv trifft. Ihre Aufgabe besteht darin, im Archiv Recherchen zu den Straßennamen zu betreiben und anschließend kurze erklärende Texte zu verfassen. Diese Texte lassen sich recht schnell ins Internet stellen. Längerfristig werden auch die Stichworte, die Informationen einmal direkt am Straßenschild bieten sollen, mit einem QR-Code versehen, der die Passanten vor Ort auf die Internettexte führt. 

Eine erste Sammlung von Straßennamen und Erklärungen gibt es bereits auf der Homepage der Stadt unter dem Stichwort „Kirchheimer Straßen“. Dabei handelt es sich bislang aber nur um „kritische Straßennamen“ – also um Straßen, die nach Orten oder Personen benannt sind, denen man heutzutage nicht mehr unbedingt eine solche Ehrung zuteilwerden ließe. Es handelt sich um Orte, die an Schlachten aus dem Ersten Weltkrieg erinnern, oder um Personen, die trotz ihrer Bedeutung als Autor oder Ingenieur 1933 in die NSDAP eingetreten waren: August Lämmle, Ludwig Finkh oder auch Ernst Heinkel. Die späteren Spruchkammerverfahren stuften sie allesamt als „Mitläufer“ oder als „minderbelastet“ ein, weswegen die entsprechenden Kirchheimer Straßen nach wie vor nach ihnen benannt sind. Eine Umbenennung wie die der Alleenstraße – die zwischendurch einmal nach Hitler benannt worden war – wurde bislang als nicht erforderlich angesehen. „Kritisch“ bleibt die Benennung aus heutiger Sicht gleichwohl.

Frank Bauer will aber nicht so weit gehen, mit allen „kritischen“ Straßennamen aufzuräumen. Umbenennungen sind stets eine heikle Sache, weil die Anwohner meistens an ihrer Adresse „hängen“ – auch wenn sie die Benennung der Straßen selbst mitunter kritisch sehen. Manches wandelt sich auch erst im Lauf der Zeit, wenn die Geschichtsbetrachtung unterschiedliche Phasen durchläuft. Bismarck wird heute wesentlich kritischer gesehen als vor hundert Jahren, und für Hindenburg gilt das in noch stärkerem Maß. Selbst Konrad Widerholt würde heute nicht mehr unbedingt zum Vorbild taugen, da ihm seine Guerilla-Taktik bei der Verteidigung des Hohentwiel im 30-Jährigen Krieg heute nicht mehr dieselbe heldenhafte Verehrung einbringen würde, die ihn noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg zum Namenspatron einer Halle und zweier Schulen in Kirchheim machte.

Aufklärung aber tut aus Sicht Frank Bauers sehr wohl not: Deswegen sind Hinweise an entsprechenden Straßenschildern geplant – und eben auch die Internet-Verweise auf die erwähnten „kritischen“ Hintergründe.