Kirchheim

„Du kannst nichts dafür“

Selbsthilfegruppe Endlich darüber sprechen: Die Al-Anon-Gruppen haben für Angehörige von Alkoholikern ein offenes Ohr. Ganz anonym treffen sich die Betroffenen jeden Mittwoch auf dem Schafhof. Von Katja Eisenhardt

Anonymität ist bei Al-Anon das A und O. Was auf dem Schafhof gesprochen wird, bleibt auch dort.Foto: Katja Eisenhardt
Anonymität ist bei Al-Anon das A und O. Was auf dem Schafhof gesprochen wird, bleibt auch dort.Foto: Katja Eisenhardt

Dass es für Alkoholiker Hilfsangebote wie die Anonymen Alkoholiker gibt, ist bekannt. Doch was ist mit den Angehörigen und Freunden der Betroffenen? Alkoholismus ist eine Krankheit, die die ganze Familie betrifft und jedes einzelne Mitglied im täglichen Leben beeinträchtigt oder die Familie gar zerstört. Weltweit gibt es daher Al-Anon-Familiengruppen - anonyme Selbsthilfegruppen für Angehörige und Freunde von Alkoholikern.

Edith, Marie, Monika und Paul gehören seit vielen Jahren zur Kirchheimer Al-Anon-Familiengruppe. Anonymität ist ihnen sehr wichtig, die Teilnehmer der Selbsthilfegruppen sprechen sich daher nur mit dem Vornamen an. Im Fall von Edith, Marie, Monika und Paul sind die Namen frei erfunden. Jeden Mittwochabend treffen sich die Mitglieder im evangelischen Gemeindehaus Schafhof. Edith geht seit 1984 regelmäßig zu Al-Anon-Treffen. In der vor 30 Jahren gegründeten Kirchheimer Gruppe ist sie Mitglied der ersten Stunde, ebenso wie Paul. Auch die anderen in der Runde haben eine langjährige Al-Anon-Erfahrung.

Ein Bestandteil des Lebens

Der Austausch mit anderen Betroffenen ist für alle zu einem wichtigen Bestandteil ihres Lebens geworden, auch wenn sie gar nicht mehr mit einem alkoholkranken Partner zusammenleben. Ediths Mann und Pauls Frau sind bereits verstorben - beide waren vor ihrem Tod noch viele Jahre trockene Alkoholiker. Marie und Monika haben sich von ihren alkoholkranken Männern getrennt.

Marie geht nicht mehr zu den Treffen, fühlt sich der Gruppe aber nach wie vor verbunden: „Dass ich damals mit meinen Kindern zu Hause ausgezogen bin, war die beste Entscheidung meines Lebens“, sagt sie. Mittlerweile sind die Kinder erwachsen. Im Austausch mit anderen Angehörigen habe sie gelernt, die schwierige Situation zu Hause von außen zu betrachten: „Ich habe bewusst wahrgenommen, wie er mit den Kindern umging, wenn er getrunken hatte. Das hat gereicht, um endlich einen klaren Schlussstrich zu ziehen“, sagt Marie.

Noch heute komme der Zorn immer wieder hoch, auch auf sich selbst, weil sie nicht noch früher konsequent reagiert habe. „Man möchte Harmonie zu Hause, deswegen schluckt man sehr viel. Es ist ein großer Schritt zu gehen, gerade auch als Mutter“, bestätigt Paul.

„Er hat die Kinder geschlagen“

Monika lebt seit Jahren ohne Alkoholiker, besucht die Treffen aber nach wie vor: „Ich gehe für mich dorthin. Hier versteht jeder, über was ich spreche. Ich habe elf Jahre lang mit einem Mann zusammengelebt, der extrem getrunken hat und dann aggressiv wurde. Er hat die Kinder geschlagen. Das war schließlich einer der entscheidenden Trennungsgründe.“ Später hatte Monika einen 15-jährigen Pflegesohn, der ebenfalls trank. „Ohne Al-Anon hätte ich das nicht geschafft. Ich habe gelernt, mit ihm umzugehen, ihm aufzuzeigen, wo es Hilfe gibt“, sagt sie. „Man lernt bei Al-Anon, an sich selbst zu arbeiten statt an anderen.“

Zwölf Schritte sind konkret in der Al-Anon-Familiengruppe festgehalten. Darunter Punkte wie: „Wir machten eine gründliche und furchtlose moralische Inventur von uns selbst“. Für viele seien diese zwölf Schritte ein Programm fürs Leben, so Edith. Als Mann sei es vielleicht noch schwerer, sich selbst Schwäche einzugestehen, ganz nach dem Motto: Ein Indianer kennt keinen Schmerz, weiß Paul aus Erfahrung. „Man muss lernen, sich selbst nicht die Schuld für das Problem des Alkoholikers zu geben. Denn genau dieses Gefühl vermitteln einem die Betroffenen häufig.“

Wer neu in die Gruppe komme, könne sich anfangs auch einfach nur dazusetzen und zuhören. „Zu den Treffen kann man übrigens weltweit gehen - also zum Beispiel bei Bedarf auch während einer Reise - nicht nur zu der Gruppe im eigenen Wohnort“, fügt Edith hinzu.

Was ist Al-Anon eigentlich?

Die Al-Anon-Familiengruppen - kurz Al-Anon und Alateen - sind eine weltweite Gemeinschaft von Frauen, Männern, Kindern, Eltern, Verwandten und Freunden von Alkoholikern. Mitglieder dieser Gruppen teilen ihre Erfahrung, Kraft und Hoffnung miteinander, um ihre Probleme zu lösen.

Der Grundstein für die Al-Anon-Familiengruppen wurde 1951 in den USA gelegt. 1957 folgte die erste Alateen-Gruppe für Kinder und Jugendliche von alkoholkranken Eltern. Die erste deutsche Al-Anon-Gruppe in Kirchheim gibt es seit 30 Jahren.

Deutschlandweit gibt es aktuell etwa 600 Gruppen, weltweit sind es etwa 30 000 Gruppen in 135 Ländern.

Al-Anon ist keine religiöse Vereinigung oder Beratungsstelle. Es ist kein Behandlungszentrum und mit keiner Organisation verbunden, die verschiedene Therapien anbietet. Gebühren oder Beiträge müssen die Betroffenen nicht bezahlen.

Die Teilnahme an einer Al-Anon-Familiengruppe setzt nur voraus, dass das eigene Leben durch das Trinkproblem eines anderen nachteilig beeinflusst wird.

Anonymität ist bei Al-Anon von zentraler Bedeutung. Die Identität und die persönlichen Geschichten der Teilnehmer werden streng vertraulich behandelt.

Die Kirchheimer Al-Anon-Gruppe feiert am Samstag, 26. August, ab 14 Uhr im evangelischen Gemeindehaus auf dem Schafhof „50 Jahre Al-Anon in Deutschland“ und „30 Jahre Al-Anon in Kirchheim“ mit einem Infomeeting. Alle Interessierten sind dazu eingeladen.

Weitere Infos gibt es im Internet auf der Homepage www.al-anon.de.eis