Kirchheim

Ein Fest für Schnuckenack

Zwei Tage steht die Bastion ganz im Zeichen der Zigeunermusik – Seit dem 19. Jahrhundert leben die Reinhardts in Kirchheim

Als Auftakt zum Sommerprogramm mit einheimischen Musikern veranstaltete der Club Bastion mit der Kirchheimer Familie Reinhardt zwei Konzerte mit dem Titel „Zigeuner-Jazz“.

Fausto Reinhardt, in Kirchheim aufgewachsen, begeisterte das Publikum auf der Bastion mit seiner unglaublichen Stimme. Rechts ne
Fausto Reinhardt, in Kirchheim aufgewachsen, begeisterte das Publikum auf der Bastion mit seiner unglaublichen Stimme. Rechts neben ihm Schnuckenack Reinhardts Sohn Forello. Foto: Andrea Barner

Kirchheim. Vom ersten Takt an wippt der Fuß oder klopfen Hände rhythmisch mit. Freitagabend in der Bastion, das war ein Abend voller Swing. Der Gewölbekeller der Bastion war voll besetzt, viele Kirchheimer und sehr viele Mitglieder der Familie Reinhardt aus Süddeutschland waren gekommen. Einige Besucher wollten gerne den angekündigten Dokumentarfilm über den Familienstamm der Reinhardts sehen, doch der fiel kurzfristig aus. Die Musiker wollten lieber sofort in die Saiten greifen, den meisten Besuchern war’s auch recht.

Der typische Zigeuner-Swing ist die einzige in Europa geprägte Form des Jazz, deren Gallionsfigur Django Reinhardt war. Die Musik hat einen ganz typischen Sound – „Gipsy“. Meistens setzt sie sich wie in der Bastion aus drei Gitarren zusammen (in Kirchheim spielten Billy Weis, Grancino Reinhardt und Brady Winterstein), einem Kontrabass (Gino Roman) und einer Geige (Ismael Reinhardt).

Am zweiten Tag wurde unter freiem Himmel auf dem Dach der Bastion weitergefeiert. Wieder war es „rappelvoll“, wieder gab es Zigeunermusik vom Feinsten in vielen Variationen. Zunächst spielte eine Formation aus Freiburg Chansons, Barmusik und folkloristische Stücke. Fausto Reinhardt, ein echter Kirchheimer, ließ nicht nur seine Geige singen, weinen, klagen – er setzte selbst einige gesangliche Höhepunkte mit bekannten Operettenstücken. Fausto ist ausgebildeter Tenor, der in Frankreich, Italien und zuletzt am Theater Freiburg engagiert war. Schon als Sechsjähriger nahm er an der Tübinger Musikhochschule Gesangsstunden und studierte später in Neapel und Wien. Nebenbei ist er auch Geigenbauer und ein exzellenter Violonist. Mit der Pianistin Dorothea Ten Haar, dem Gitarristen Gigolo Reinhardt und dem Schauspieler Dr. Markowski will Fausto sich nun wieder verstärkt der Zigeunermusik zuwenden, wie das in der Familie Reinhardt seit Jahrhunderten Tradition ist.

Der zehnte Todestag von Schnuckenack Reinhardt war Auslöser für das Zigeunerfestival in und auf der Bastion. Dieser neben Cousin Django bekannteste Musiker der Reinhardt-Familie hat den Zigeuner-Jazz seit den 50-er Jahren einer breiten Öffentlichkeit in Deutschland zugänglich gemacht. Er perfektionierte die traditionelle Straßen- und Tanzmusik und machte aus ihr eine anspruchsvolle Kunstmusik. Der preisgekrönte Geigenvirtuose und Komponist starb 2006 in seiner pfälzischen Heimat.

Auf dem Dach der Bastion spielte am Samstag mit dem „Hotclub de Zigan“ eine Zigeunergruppe, die viele Jahre mit Schnuckenack Reinhardt aufgetreten ist. Allen voran sein Schwager Schmitto Kling (Geige, Gesang), dessen Sohn Ringo (Geige und Gitarre), Jani Lehmann am Bass, Helmut Weis (Piano) und Forello Reinhardt. Der Gitarrist ist ein Sohn Schnuckenacks, eines von insgesamt 23 Kindern. Forellos Schwester Donita stieß dazu und sang unter großem Beifall Zigeunerlieder in der Sinti-Sprache. Das ist eine sehr alte Sprache, die manche Zigeuner heute noch untereinander sprechen, ein Sanskrit-Dialekt aus Indien, wo die Sinti­stämme im Altertum wahrscheinlich ursprünglich angesiedelt waren.

Musik liegt den Zigeunern seit Jahrhunderten im Blut. Die Musikanten reisten früher durch die Lande, „als mobile Juke-Box sozusagen“ grinst Fausto Reinhardt und erzählt davon, dass die Musik der fahrenden Familien oftmals in den Dorfgaststätten für die Bewohner willkommene Abwechslung bedeutete. Instrumente und die Kunst des Spielens vererbte der Vater auf den Sohn oder die Tochter. „Heute“, so Fausto, „gibt’s nicht mehr so viele professionelle Musiker. Hier aus der Kirchheimer Sippe vielleicht noch drei außer mir, den Ruggeri, seinen Sohn Dolfi und Cerruti.“

Der hiesige Zweig der Familie Reinhardt lebt schon seit dem 19.  Jahrhundert in Kirchheim. Operntenor Fausto Reinhardt ist in Kirchheim aufgewachsen. „Sie finden hier keinen Reinhardt, der nicht urschwäbisch spricht.“ klärt er auf. Sein Urgroßvater besaß schon vor dem ersten Weltkrieg ein Haus am Ziegelwasen. Inoffizielles Oberhaupt der Familie ist sein Onkel Bruno, etwa 100 Familienangehörige wohnen allein in Kirchheim und Umgebung. Viele Onkel, Tanten, Cousinen und Cousins leben zwischen Freiburg und Mannheim. In ganz Deutschland, so schätzt Fausto, gibt es etwa 40 000 Sinti, 25 Prozent davon sind miteinander verwandt und heißen Reinhardt, aber eine genaue Zahl kennt er nicht. Der Familiensinn ist stark ausgeprägt, deshalb kamen sie am Wochenende von überall her, um sich zur Erinnerung an Schnuckenack wiederzusehen und zusammen mit anderen Kirchheimern ein schönes Musikfest zu feiern.

„Zigeuner-Jazz“? Oooops . . .

Um nicht den Hauch eines Zweifels oder gar Shit­storms zu schüren: Die Kirchheimer Familie Reinhardt, ihre Verwandten und die Musiker legen Wert auf die Bezeichnung „Zigeuner“. Sie selbst haben die Veranstaltung in der Bastion so angekündigt. Stellvertretend aus mehreren Nachfragen zu diesem Thema hier ein Zitat von Fausto Reinhardt: „Mein Großvater hier in Kirchheim hat nie begriffen, warum seit den 80er-Jahren alle Welt nur noch von Sinti und Roma spricht. Wir sind Zigeuner und wir sehen darin auch überhaupt nichts Abwertendes. Die Herleitung von ,Ziehender Gauner' zum Beispiel ist etymologisch völliger Irrsinn. Unsere Musik war schon immer Zigeunermusik, und das soll auch in Zukunft so bleiben.“ab